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Vorgeschichte

In Gotha gab es bereits im Mittelalter eine jüdische Gemeinde, vermutlich ab Beginn des 13. Jahrhunderts. Aus dieser Zeit gibt es den Beleg einer Mikwe (rituelles Bad), die sich in der Nähe der heutigen Augustinerkirche befand.


Im Mittelalter kam es immer wieder zu Pogromen und Vertreibungen der Jüdinnen und Juden in Gotha, so z. B. im Pestjahr 1349. Einige Jahrzehnte später siedelten sich erneut Jüdinnen und Juden in Gotha an. Zu dieser Zeit wohnte auch ein Rabbiner in der Stadt und es gab eine jüdische Hochschule, die auch Juden aus der Umgebung besuchten. Im Jahr 1418 soll die jüdische Gemeinde Gothas aus etwa 55 Personen bestanden haben. Um 1465 wurden Jüdinnen und Juden jedoch erneut aus der Stadt vertrieben.


In der darauffolgenden Zeit war es Jüdinnen und Juden untersagt, sich in Gotha niederzulassen. Erst fast 300 Jahre später etablierte sich mit der Ansiedlung der kaufmännischen Familie Israel wieder jüdisches Leben in Gotha. Jüdinnen und Juden wurde 1768 neben einer Handelserlaubnis auch die Errichtung eines jüdischen Friedhofes sowie die Ausübung von Gottesdiensten in Privaträumen gewährt. Zu dieser Zeit besaßen sie in Gotha jedoch noch keine Bürgerrechte. 


Im 19. Jahrhundert kam es in der Stadt zu einer Liberalisierung der Gesetze, die das jüdische Leben und Arbeiten in Gotha eingeschränkt hatten. Im Jahr 1866 gründeten sechs Familien eine jüdische Gemeinde, deren Mitgliederzahl schnell stieg und zur Jahrhundertwende fast 300 Personen betrug. 



Hauptmarkt 36, Juni 2023. Zwischen 1866 und 1877 befand sich in diesem Wohnhaus der Kaufmannsfamilie Eichel eine jüdische Betstube. (Foto: Jara Urban)


Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts blühte das jüdische Leben in Gotha auf: Es wurden Unternehmen gegründet, Juden waren als Ärzte und Rechtsanwälte tätig und auch das Vereinsleben entwickelte sich. So wurde etwa im Jahr 1888 der israelitische Frauenverein gegründet. Am 11. Mai 1904 fand in der heutigen Moßlerstraße in Anwesenheit zahlreicher Gothaer Bürger:innen die feierliche Einweihung der neu erbauten Synagoge statt. Am Nachmittag erschienen etwa 2000 Besucher:innen, die die Synagoge besichtigten.



Historische Ansichtskarte mit Blick auf die Neue Synagoge in der Moßlerstraße (1904-1938), undatiert. (Staatsarchiv Gotha)



Historische Ansichtskarte mit einer Aufnahme des Innenraums der Synagoge, undatiert. (Staatsarchiv Gotha)


Die Zahl der jüdischen Einwohner:innen stieg bis in die 1920er Jahre weiter an; ein Höchststand war 1923 mit etwa 400 Personen erreicht. Gotha verfügte damit über eine der größten jüdischen Gemeinden im heutigen Thüringen. Aufgrund der Bevölkerungszunahme wurde an der Eisenacher Straße ein neuer jüdischer Friedhof errichtet.


Doch zur selben Zeit war die antisemitische Stimmung bereits stark spürbar. So war etwa der Gothaer jüdische Kreisarzt Dr. Fritz Noack (1890-1968) antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt. Schon 1924 schrieb die thüringische Landeszeitung antisemitische Hetzartikel gegen ihn, die Anfeindungen nahmen im Verlauf der Zeit der Weimarer Republik zu. Am 1. Februar 1933, am Tag nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, kündigte Noack seinen Posten als Kreisarzt mit den Worten: „In dieser politischen Lage, die sich jetzt entwickeln wird, kann kein Jude leben, und bestimmt keine öffentlichen Posten halten.“ (Strauß/ Heinold 2022, S. 144) Er emigrierte im selben Jahr mit seiner Familie nach Palästina.



Dr. Fritz Noack (1890-1968): Mediziner, Sozialist und Zionist, undatiert.


Der Mediziner engagierte sich u.a. für die aus Osteuropa geflohenen Jüdinnen und Juden, war Vorstandsmitglied der Jüdischen Jugendvereine und Thüringer Gauleiter des Jung-Jüdischen-Wanderbundes. Später wurde er zum Vertreter Israels bei der Weltgesundheitsorganisation. (Ephrat-Angress Ewald; Ausstellung Jüdinnen und Juden in der Arbeiterbewegung Thüringens)


Die NSDAP erhielt in Gotha früh Zustimmung und stellte bereits ab 1928 die Mehrheit im Stadtrat. Der nationalsozialistische Oberbürgermeister Dr. Fritz Schmidt (1888-1968) hatte sein Amt bereits ab 1930 und durchgehend bis 1945 inne. 


Die NS-Herrschaft führte zur sozialen, politischen und wirtschaftlichen Ausgrenzung der jüdischen Gemeinschaft in Gotha. Im März 1933 begannen die Nationalsozialisten in Gotha mit dem Boykott jüdischer Geschäfte und gewalttätigen Ausschreitungen.



SA-Männer stehen im Rahmen des „Judenboykotts“ vor dem Geschäft von Willi Herrmann am Neumarkt 23, vermutlich 1. April 1933. Willi Herrmann war seit 1930 1. Vorsitzender des Vorstandes der jüdischen Gemeinde in Gotha. (Thür. Hauptstaatsarchiv Weimar)



„Mit wem wir nicht verkehren können.“ Liste mit Adressen und Namen von Gothaer Juden im „Judenspiegel“, einer Beilage der Zeitung „Gothaer Beobachter“, September 1935. Mit dieser Liste riefen die Nationalsozialisten dazu auf, jeden Kontakt zu jüdischen Bürger:innen in Gotha einzustellen. (Staatsarchiv Gotha)


Bis 1938 verließen Gotha bereits mehrere Dutzend jüdische Familien; einige wanderten ins Ausland aus. Viele jüdische Geschäftsleute verloren durch „Arisierungen“ ihre Lebensgrundlage. Am 28. Oktober 1938 mussten im Rahmen der „Polenaktion“ etwa 50 als „Ostjuden“ bezeichnete Personen, die nach dem Ersten Weltkrieg nach Gotha gekommen waren, die Stadt verlassen und wurden nach Polen abgeschoben. Später wurden sie Opfer der Shoah.

Die Ereignisse im November 1938

In den frühen Morgenstunden des 10. November wurde die Synagoge in der Moßlerstraße, damals Hohenlohestraße, durch SA-Leute und deren Sympathisanten in Brand gesteckt. Die Feuerwehr rückte an, sorgte aber lediglich dafür, dass angrenzende Gebäude geschützt wurden. Um 5:30 Uhr stürzte die vollkommen ausgebrannte Synagoge zusammen. Jüdinnen und Juden wurden gezwungen, sich den Brand anzusehen.



Noch am 10. November berichtete die Oberstaatsanwaltschaft in Gotha der Generalstaatsanwaltschaft in Jena verharmlosend von den Ereignissen: „[I]n der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 [wurde] die Synagoge in Gotha in Brand gesetzt. Das Innere wurde gänzlich vernichtet. In Friedrichroda wurden bei einer Frau Cohn einige Fensterscheiben eingeworfen. Außerdem wurden im Stadt- und Landkreis Gotha insgesamt 52 Juden festgenommen, von denen im Laufe des Vormittags 27 entlassen wurden. Nach Auskunft der Polizei und des Landrats sind Mißhandlungen und Plünderungen sowie weitere Brandstiftungen und Sachbeschädigungen nicht vorgekommen.“ (Thür. Hauptstaatsarchiv Weimar, Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Jena Nr. 410, Bl. 22) Es wird vermutet, dass die 52 Juden aus Stadt und Kreis Gotha zunächst im Gothaer Gefängnis festgehalten wurden. Diejenige, die nicht entlassen wurden, verschleppte die Polizei anschließend in das KZ Buchenwald. 



„…ein Zeichen dafür, daß das deutsche Volk nicht mehr gewillt ist, dem Judenterror, wie bisher, zuzusehen“. Artikel des „Gothaer Beobachters“ über die Ereignisse der Pogromnacht, 10. November 1938. Die NS-Propaganda rechtfertigte den Pogrom als „Kundgebungen der Empörung“ über den Mord am Diplomaten vom Rath. (Staatsarchiv Gotha)


Auch die Lokalzeitung berichtete vom Niederbrennen der Synagoge. Von gewalttätigen Übergriffen gegen Jüdinnen und Juden war hingegen weder in der Zeitung noch im Bericht des Oberstaatsanwaltes die Rede. Dass es sie dennoch gegeben hat, berichteten Zeitzeug:innen: Eine namentlich nicht benannte Gothaerin erinnert sich im Jahr 1988, dass sie am Morgen des 10. November 1938 beobachtet habe, wie die abgebrannte Synagoge geplündert wurde. Daran knüpft die Überlieferung des Gothaers Johannes Kutschbach an, der berichtete, dass Jugendliche einen Davidstern aus den Trümmern der Ruine entnommen hätten, der zuvor auf dem Dach der Synagoge befestigt gewesen sei.


Auch der Gothaer Zeitzeuge Rudolf H. berichtete 1988 von seinen Eindrücken der Nacht der Novemberpogrome sowie der darauffolgenden Tage: „Auch wahrgenommen habe ich Spuren von Gewalteinwirkungen an Türen und Schaufenstern jüdischer Geschäfte. Die Schaufenster wiesen entweder Sprünge auf[...] oder waren notdürftig mit Pappen oder Brettern geflickt. [...] Davon, daß in den jüdischen Geschäften geplündert wurde, habe ich damals gehört, es aber nicht selbst wahrgenommen.“ (Die Novemberpogrome. Gegen das Vergessen. Eisenach, Gotha, Schmalkalden. Spuren jüdischen Lebens, 1988, S. 56).

Folgen

Die in das KZ Buchenwald eingewiesenen jüdischen Männer aus dem Kreis und der Stadt Gotha wurden vermutlich bis Ende 1939 wieder entlassen. Währenddessen verschärfte sich die Situation der jüdischen Bürger:innen auch in Gotha nach den Novemberpogromen zunehmend. Jüdische Geschäftsleute wurden dazu gezwungen, ihre Unternehmen weit unter Wert zu verkaufen. So wurde etwa Dr. Ernst Ruppel (1900-1973), Eigentümer der Ruppel-Werke, erst aus dem KZ Buchenwald entlassen, nachdem er die Abtretung der Firma unterschrieben und seine Frau die Ausreise nach Großbritannien organisiert hatte.



Ehemaliges Wohnhaus und Metallwarenhandlung der Familie Ruppel, Juni 2023. Nach der „Arisierung“ des Betriebes gelang Ernst Ruppel und Familienmitgliedern die Ausreise nach England. (Foto: Jara Urban)



Ernst Ruppel in seinem Arbeitszimmer, undatiert. (Sammlung Werner Keyl) Sammlung Werner Keyl


Die Ruine der abgebrannten Synagoge blieb noch einige Monate stehen, was von einigen Nationalsozialisten als Ärgernis angesehen wurde. Sie forderten die Entfernung der Ruine. So bat SA-Standartenführer Werner den Oberbürgermeister Dr. Fritz Schmidt Anfang Januar 1939 darum, die Ruine von der SA-Standarte Jäger 6 sprengen zu lassen. Damit könne „Gotha von dem Schandfleck des Judentums befreit“ werden. Dieser Bitte kam der Oberbürgermeister jedoch nicht nach. Die Ruine musste stattdessen Anfang März 1939 von der jüdischen Gemeinde auf eigene Kosten beseitigt werden. Anschließend wurde das Grundstück an den Polizeidirektor verkauft.



Schreiben von SA-Standartenführer Werner an Oberbürgermeister Dr. Schmidt, 9. Januar 1939. (Stadtarchiv Gotha, 1.1./10750, fol. 4r)


Im Jahr 1939 wohnten nur noch 80 Jüdinnen und Juden im Stadtkreis Gotha; bis 1941 sank ihre Zahl auf etwa 38 Personen. Sie wurden gezwungen, in sogenannte „Judenhäuser“ umzuziehen, welche sich in der Hünersdorfstraße 13, am Arnoldiplatz 5, in der Friedrichstraße 20 und in der Gartenstraße 34 befanden.


Am 10. Mai 1942 wurden 16 Jüdinnen und Juden vom Gothaer Bahnhof über Weimar ins Getto Bełżyce im besetzten Polen deportiert, darunter auch zwei Kinder: der knapp vierjährige Kurt Heilbrunn und die elfjährige Judith Weissenberg. Beide lebten vor der Deportation im „Judenhaus“ am Arnoldiplatz 5. Ihre Spuren verlieren sich in Bełżyce.



Deportation von Gothaer Jüdinnen und Juden in das Ghetto Bełżyce (1. Teiltransport), 10. Mai 1942. (Arolsen Archives)


Am 19. September 1942 wurden zehn ältere Personen in das Lager Theresienstadt transportiert; zwei weitere, sogenannte „Halbjuden“, folgten am 31. Januar 1945. Insgesamt gelang 112 Personen die Emigration. 90 jüdische Einwohner:innen Gothas sind zu Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung geworden; sieben wählten den Freitod.

Biographien

Familie Falkenstein


Dr. Leo Falkenstein wurde 1890 in Wallau in Hessen-Nassau geboren. Er studierte Medizin und diente im Ersten Weltkrieg als Militärarzt. 1921 lernte er an einem Krankenhaus seine Kollegin Dr. Auguste Oeltze von Lobenthal (*1895) kennen, eine evangelische Christin. Die beiden heirateten; 1923 wurde die Tochter Anna geboren. Das Ehepaar entschied sich, sie evangelisch zu erziehen, stieß dabei aber auf antisemitische Gegenwehr in der Kirche. 



Leo und Auguste Falkenstein mit ihrer Tochter Anna, 1924. (The Dr. Leo Falkenstein Gallery) 


Das Ehepaar Falkenstein betrieb eine Privatklinik in Gotha-Siebleben. 1935 wurde Dr. Leo Falkenstein im „Judenspiegel“ des „Gothaer Beobachters“ namentlich erwähnt. Die nichtjüdische Bevölkerung wurde dazu aufgefordert, den Kontakt zu ihm und anderen Jüdinnen und Juden zu meiden. Im selben Jahr zwangen die Nationalsozialisten Leo Falkenstein, seine berufliche Tätigkeit als Arzt einzustellen, 1938 wurde ihm seine Approbation entzogen. Seine nichtjüdische Frau konnte die Klinik jedoch weiterführen.



Leo Falkenstein sowie drei weitere jüdische Ärzte Gothas wurden vom staatlichen Gesundheitsamt darüber informiert, dass ihnen zum 30. September 1938 ihre Approbationen entzogen werden, 1938. (Staatsarchiv Gotha)


Ein einschneidender Wendepunkt im Leben der Familie Falkenstein kam mit den Novemberpogromen. In der Nacht auf den 10. November 1938 erschienen drei SS-Männer am Haus der Falkensteins in der Weimarer Straße in Gotha-Siebleben und fragten nach ihm. Seine Frau war im Vorhinein gewarnt worden und hatte ihren Mann im Auto nach Berlin gebracht, wo er sich versteckt hielt. Mit Hilfe seines Schwagers, eines NS-Funktionärs, gelang es ihm Anfang 1939, nach Großbritannien zu fliehen. Dort wurde er jedoch nach Kriegsbeginn im September 1939 als Deutscher in Internierungshaft genommen. Nach einigen Monaten wurde er entlassen und konnte 1940 in die USA ausreisen.



Karteikarte der israelitischen Religionsgemeinde Leipzig, undatiert. Auf der Karte ist der Auswanderungswunsch der Familie Falkenstein nach England vermerkt. (Arolsen Archives)


Auguste und Anna Falkenstein blieben zunächst allein in Siebleben zurück und mussten bald aus dem eigenen Haus in eine kleine Zweizimmerwohnung umziehen. Auguste Falkenstein wurde gezwungen, im städtischen Krankenhaus zu arbeiten. Erst im Juli 1941, kurz vor dem Kriegseintritt der USA, gelang es ihnen, über Spanien und Portugal in die USA auszuwandern. In New York bauten sie sich mit ihrem Ehemann und Vater ein neues Leben auf.


Leo Falkenstein starb 1972, seine Frau Auguste 1982. Die Tochter Anne arbeitete nach ihrer Ausbildung als Krankenschwester und heiratete 1950 den norwegischen Pfarrer Kjell Jordheim, mit dem sie nach Oslo zog und dort drei Kinder bekam. Während ihrer Zeit in Norwegen reiste sie 1953 nach Deutschland und besuchte u.a. auch Gotha. 1958 zog die Familie zurück in die USA. 2020 starb Anne Jordheim in Columbia, Missouri.



Stolperstein für Dr. Leo Falkenstein, undatiert. Der Stein befindet sich am Ort des ehemaligen Wohnhauses in der Weimarer Straße 71-75 in Gotha-Siebleben. (Foto: Frank Wiegand, Spuren jüdischen Lebens in Gotha, S. 114)

Justizielle Ahndung

Eine strafrechtliche Ahndung der Zerstörung der Synagoge sowie die Misshandlung und Deportation der jüdischen Einwohner:innen in das KZ Buchenwald fand nach 1945 vermutlich nicht statt. Der Oberbürgermeister Dr. Fritz Schmidt flüchtete Anfang April 1945 aus Gotha und kehrte nach dem Einmarsch der Amerikaner zurück. Diese internierten ihn. Offenbar blieb er aber nicht lange in Haft. Später lebte er bis zu seinem Tod 1968 in Wuppertal. 

Spuren und Gedenken

Das Gelände, auf dem sich die Synagoge befunden hatte (von den Menschen in Gotha wurde es „Syna“ genannt), wurde nach 1945 inoffiziell als Spielplatz genutzt. In der 1970er Jahren errichtete die Stadt dort eine Wohnanlage. Eine Stele mit Gedenktafel, genannt „Denkstelle“, wurde 1988 errichtet. Einen Teil der Wohnanlage riss die Stadt nach 1989 ab, so dass das ehemalige Synagogengelände wieder ungenutzt war. 2019 begann der Bau des Altstadtforums, wodurch die „Denkstelle“ vorrübergehend entfernt wurde. Den Auflagen der Stadt entsprechend wurde in das Einkaufsareal ein Gedenkort integriert. An diesem befinden sich neben der „Denkstelle“ von 1988 auch ein Modell der Synagoge, zwei Tafeln mit Fotografien sowie ein in die Wand integrierter metallener Davidstern. Im Jahr 2020 wurde außerdem eine Installation an der Fassade gezeigt.



Gelände der ehemaligen Synagoge in Gotha, 1950er Jahre. (Verein für Stadtgeschichte Gotha e.V., bearbeitet von Thomas Strauß)



Die Gedenktafel von 1988, Juni 2023. (Foto: Jara Urban)




Heutiges Denkmal am Shoppingcenter Altstadtforum, Juni 2023. (Fotos: Jara Urban)


Der jüdische Friedhof ist erhalten geblieben und befindet sich seit der Nachkriegszeit im Besitz der jüdischen Landesgemeinde Erfurt. Dort wurde 1988 ein Gedenkstein errichtet. Zudem finden heute regelmäßig Führungen über das Gelände statt. Auch wird regelmäßig ein Stadtrundgang zum Thema „Jüdisches Leben in Gotha“ angeboten. 


Zum 59. Jahrestag der Novemberpogrome 1997 wurde im Eingangsbereich des Bahnhofs eine Gedenktafel zum Gedenken an die Deportationen von jüdischen Einwohner:innen eingeweiht. Außerdem werden in Gotha seit 2006 Stolpersteine verlegt. Aktuell sind es mindestens 90 Stolpersteine. 



Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof, Juni 2023. Auf dem Friedhofsgelände befindet sich am Standort der Leichen- und Feierhalle, die 1981 abgerissen wurde, seit 1988 ein Denkmal mit folgender Inschrift: „IM STILLEN GEDENKEN AN UNSERE ERMORDETEN BRÜDER UND SCHWESTERN 1933-1945“ (Foto: Jara Urban)



Gedenktafel im Eingangsbereich des Gothaer Bahnhofs, Juni 2023. (Foto: Jara Urban)

Exkurs: Antisemitische Vorfälle auf dem jüdischen Friedhof

Das Eingangstor des jüdischen Friedhofs ist heute verschlossen. Nicht ohne Grund, denn in den letzten Jahrzehnten hat es diverse antisemitische Vorfälle auf dem jüdischen Friedhof gegeben.



Eingangsbereich des jüdischen Friedhofs in Gotha, Juni 2023. Aus Sicherheitsgründen ist der Friedhof nicht öffentlich zugänglich. (Foto: Jara Urban)


Am 1. Februar 2004 wurden auf dem jüdischen Friedhof in Gotha 16 Gräber von unbekannten Täter:innen geschändet. In 14 Fällen wurden die Grabsteine umgestoßen, und bei zwei Gräbern kam es zu Beschädigungen der Grabsteine. In der Nacht auf den 17. November 2008 wurde erneut ein antisemitischer Vorfall auf dem Friedhof verzeichnet. Zwei Männer brachten am Eingangstor einen blutigen Schweinekopf und ein Stoffplakat mit volksverhetzenden, den Holocaust leugnenden Sprüchen an und warfen Gläser mit Schweineblut auf das Gelände des Friedhofs. Die Täter wurden 2010 zu sechs Monaten Haft, ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung, und einer Geldstrafe verurteilt. Am 9. November 2017 wurde außerdem eine rechtsextreme Kundgebung vor dem jüdischen Friedhof veranstaltet.


Bei diesen antisemitischen Vorfällen handelt es sich keineswegs um Einzelfälle: Zwischen 2015 und 2022 wurden sechs antisemitische Vorfälle auf Friedhöfen in Thüringen dokumentiert. Deutschlandweit sind seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis 2002 sind über 2.000 Schändungen jüdischer Friedhöfe registriert worden. Allein zwischen 2000 und 2008 waren es deutschlandweit 471 Vorfälle.

(Kopie 1)

Quellen und Literatur

Böttner, Florian et al., Verein der Freunde und Förderer der Herzog-Ernst-Schule (Hg.): Spuren jüdischen Lebens in Gotha, Gotha 2015.

Jüdische Landesgemeinde Thüringens (Hg.): Die Novemberpogrome. Gegen das Vergessen. Eisenach - Gotha - Schmalkalden. Spuren jüdischen Lebens, Eisenach 1988.

John, Anke: Geschichte und Erinnerung an die Weimarer Republik. Tagebuch und Autobiografie Eva Ebensteins, geb. Schiffmann (1921-2003), in: Stadtverwaltung Gotha (Hg.): Gotha Illustre. Jahrbuch für Stadtgeschichte, Band 7 (2024), Gotha 2023, S. 135-149.

Loth, Albrecht et al., KommPottPora e.V. et. al. (Hg.): Spuren jüdischen Lebens in Gotha, 2. Erweiterte Auflage, Gotha 2021.

Slivi, Judy: Die Jüdische Gemeinde Gotha, in: Heimatbund Thüringen (Hg.), Heimat Thüringen 27 (2020), 2, S. 18-20.

Strauß, Thomas/Heinold, Uta: Jüdisches Leben in Gotha. Die Gothaer Synagoge, Bad Langensalza/ Thüringen 2022.

Wenzel, Thomas: „…well if you buy a boat ticket to leave Germany on such and such a day well release him for that day.” Die Industriellenfamilie Ruppel, Gotha / Saalfeld, in: Monika Gibas (Hg.): „Ich kam als wohlhabender Mensch nach Erfurt und ging als ausgeplünderter Jude davon.“ Schicksale 1933–1945, Erfurt 2010, S. 39-50.

Links

Alemannia Judaica, Ortseintrag zu Gotha: https://www.alemannia-judaica.de/gotha_synagoge.htm

Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum, Ortseintrag zu Gotha: https://www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/e-g/756-gotha-thueringen

Fassadenprojekt „Die Gothaer Synagoge lebt“: https://www.youtube.com/watch?v=cVpzKTczzYY

Jüdisches Leben in Gotha: https://juedisches-leben-gotha.de

Oscar am Freitag: Gotha: Zwei weitere „Stolpersteine" als Erinnerung und Mahnung: https://www.youtube.com/watch?v=Ha4IuALOpgg

Podcast "Von Gotha nach Haifa" Fritz Noack (1890-1968) - Mediziner, Sozialist und Zionist: https://www.lztthueringen.de/publikationen/podcast/

The Dr. Leo Falkenstein Gallery: https://drleofalkenstein.org/about-dr-falkenstein

Biografie von Anne Jordheim und ihren Eltern Leo und Auguste Falkenstein: https://www.forevermissed.com/anne-e-jordheim/lifestory

 

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Autorin: Jara Urban, Studentin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena