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Vorgeschichte

Erste Juden kamen zu Beginn des 16. Jahrhunderts in die Stadt Lengsfeld. Hintergrund war die Ausweisung jüdischer Familien aus den ernestinischen Gebieten in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die dazu führte, dass diese sich neue Wohnorte südwestlich des Thüringer Waldes suchten. Dabei bevorzugten sie Orte mit Stadtbefestigungen und unter reichsritterlicher Herrschaft, denen sie ein Schutzgeld zahlen mussten. Solche Voraussetzungen boten neben der Stadt Lengsfeld auch die Städte Geisa und Vacha. 


Im 18. Jahrhundert entwickelte sich die jüdische Gemeinde in der Stadt Lengsfeld zum Mittelpunkt des jüdischen Lebens in der Vorderrhön. Sie wuchs bis 1800 auf etwa 800 Mitgliedern aus 145 Familien an (danach sank die Zahl wieder) und war zu diesem Zeitpunkt eine der größten jüdischen Gemeinden im ländlichen Raum in den deutschen Ländern. Allerdings sind unter den 800 Mitgliedern auch solche, die ihren Wohn- und Erwerbsplatz in benachbarten Städten und Dörfern hatten, wie z. B. in Dorndorf, Tiefenort, Gehaus, Geisa und Völkershausen. Schon früh entwickelten sich feste Strukturen eines eigenen Gemeindelebens: Synagoge mit Mikwe, jüdische Schule, Friedhof, jüdische Metzgerei, Gemeindevorsteher, Kultusvorstand. Größe und vorhandene Struktur der jüdischen Gemeinde waren gewiss ein Grund, warum die Stadt Lengsfeld 1824 zum Sitz des Landrabbinates ausgewählt wurde. Ab 1911 wohnte der Landesrabbiner in Eisenach (bis 1930 war es Dr. Joseph Wiesen), formal blieb sein Sitz aber Stadtlengsfeld.



Sitz des ehemaligen Landesrabbinates, Frauenberg 15, 2021. (Foto: Rolf Leimbach)


Eine jüdische Schule wird 1799 genannt. Ihren endgültigen Sitz bekam sie 1840 in einem Neubau in der Nähe der Synagoge. 1850 schrieb die Stadt Lengsfeld ein Stück Schulgeschichte. Die christliche und jüdische Schule wurde zu einer gemeinsamen Schule zusammengelegt. Jeweils drei christliche und drei jüdische Lehrer unterrichteten nun christliche und jüdische Kinder in einer Klasse gemeinsam (mit Ausnahme des Religionsunterrichtes). Das war in den damaligen deutschen Ländern und Fürstentümern ein einmaliger und beispielgebender Vorgang.



Gebäude der ehemaligen jüdischen Schule in der Ratsgasse 15, 2003. Nach 1881 erwarb die Familie Rothschild das Gebäude als Wohn- und Geschäftshaus. Rechts daneben die ehemalige Synagoge. (Foto: Rolf Leimbach)


In der Stadt Lengsfeld boten jüdische Händler Produkte für den landwirtschaftlichen Bedarf, für das Handwerk, für Wohnungseinrichtungen oder für Versicherungsleistungen an. Sie hatten unter der christlichen Bevölkerung einen festen Kundenstamm. 


Die französische Besetzung der Stadt mit Beginn des 19. Jahrhunderts leitete eine Periode jüdischer Emanzipation ein. Juden durften wählen und wurden in Gemeindeämter gewählt. Samuel Löb Rosenblatt aus der Stadt Lengsfeld war der erste jüdische Landtagsabgeordnete im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach. Einige Juden betrieben Manufakturen und sorgten so für Arbeitsplätze. An Firmen- und Familienfeiern jüdischer Bürger:innen waren oft große Teile der nichtjüdischen Bevölkerung beteiligt. Diese Beispiele zeigen, dass die Annäherung zwischen christlichen und jüdischen Bürger:innen in Stadtlengsfeld schon weit gediehen war.


Der große Aderlass der jüdischen Gemeinde begann mit der Abwanderung vor allem nach Amerika (USA) im Jahre 1853. Er dauerte bis 1868. Eine weitere Auswanderungswelle erfasste die jüdische Gemeinde, als 1878 ein Großbrand etwa 40 Prozent der Gebäude vernichtete. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts zählte die jüdische Gemeinde nur noch rund 60 Personen; zu Beginn der 1930er Jahre waren es nur noch gut 30 Personen.


Antijüdische Einstellungen waren auch in Stadtlengsfeld vorhanden. Aber sie waren nicht bestimmend für Verhältnis zwischen Christen und Juden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich der Antijudaismus auch im Südwesten Thüringens zum Antisemitismus. Die „Rhön-Zeitung“ berichtet 1893 von einer Tagung der „Antisemitischen Volkspartei“ in Meiningen.


In den Märzwahlen 1933 erhielt in Stadtlengsfeld die NSDAP die meisten Stimmen. Auch in Stadtlengsfeld ließen die Nationalsozialisten keine Zweifel aufkommen, wie sie mit den jüdischen Einwohnern in Zukunft umzugehen gedachten. Die antijüdische Hetze äußerte sich in zahlreichen Vorträgen und Versammlungen. In Stadtlengsfeld fand am 16. Februar 1934 eine Feier der NS-treuen „Deutschen Christen“ (DC) statt. Der Redner, Pfarrer Schellhorn aus Sättelstedt, äußerte: „Gott spricht durch Adolf Hitler zu uns...“ Die Feier wurde „mit dem Horst-Wessel-Lied gebührend abgeschlossen.“ (Quelle: Eisenacher Zeitung – Mitteldeutschland, 16.02.1934) Veröffentlichungen aus der „Eisenacher Zeitung Mitteldeutschlands“ und der „Thüringer Gauzeitung“ belegen, wie die Hetze gegen die jüdische Bevölkerung in Stadtlengsfeld immer schärfer wurde. So wird etwa am 21. November 1936 berichtet, dass Kreisleiter Nentwig großen Beifall für eine Rede gegen das Weltjudentum und den Bolschewismus erhalten habe.


Jüdinnen und Juden in Stadtlengsfeld hatten bald nicht mehr nur unter verbaler Hetze, sondern auch unter gewalttätigen Angriffen zu leiden. So wurden dem Fleischermeister Hermann Freimark im Sommer 1935 die Fensterscheiben eingeworfen. Er beschwerte sich bei Bürgermeister Rudolf Rausche und verlangte Schadenersatz. Der Antwortbrief Rausches war deutlich: Er bezeichnete die Beschwerde als „echt jüdische Unverfrorenheit“ und wertete das Einwerfen der Fensterscheiben als Reaktion eines Bürgers auf geschäftliche Betrügereien. Abschließend forderte er Hermann Freimark zum Verlassen der Stadt auf: „Wir weinen Ihnen keine Träne nach.“



Schreiben von Bürgermeister Rausche an Fleischermeister Freimark, 6. August 1935. (Kommunales Archiv Stadtlengsfeld)



Ehemaliges Wohn- und Geschäftshaus der Familie Freimark in der Burgstraße 1, 1985. Später wurde das baufällige Haus abgetragen. (Foto: Rolf Leimbach) 
 


Die nationalsozialistische Propaganda tat alles, um den Juden die Schuld an erlittene Entbehrungen zuzuschieben. In einer am 9. November 1936 verfassten Schrift über die Geschichte Stadtlengsfelds heißt es: 


„...Den Lengsfelder Bürgern freilich ist es wohl meist mehr oder weniger schlecht gegangen. Auch nachdem Hörigkeit, Erbzins, Lehngeld und was es an grundherrlichen Berechtigungen sonst noch gab, weggefallen war, wurden die Lengsfelder nicht froh. Begünstigt durch die jeweiligen Herren hatten sich in der Stadt die Juden breit gemacht. Zeitweise waren fast die Hälfte der Einwohner Juden, ja sogar der Landesrabbiner hatte seinen Wohnsitz da. Die Folge davon war, dass Zinsknechtschaft und Hörigkeit der Einwohner ständig zunahmen und die wirtschaftlichen Verhältnisse den Bevölkerungsnachwuchs zwangen, auszuwandern und in der Fremde Arbeit und Brot zu suchen...“.


(Martha Heift, Chronik Stadtlengsfeld, 1974/75. Das Zitat ist als maschinengeschriebenes Manuskript mit dem Datum 9. November 1936 als Original eingefügt. Der Verfasser ist nicht benannt.)


Methode hatte es auch, der israelitischen Kultusgemeinde nach und nach die materielle Existenz zu nehmen. 1885 hatte die Stadtverwaltung der jüdischen Gemeinde schriftlich gestattet, ihren Leichenwagen unentgeltlich in einer Halle des Spritzenhauses abzustellen. 1935 befand die Stadtverwaltung, dass dieser Vertrag im Jahr 1906 abgelaufen sei und die jüdische Gemeinde bei der Stadt nun mit 228 Reichsmark in der Kreide stehe – ein Betrag, den die verarmte Gemeinde nicht zahlen konnte.


Auch in Stadtlengsfeld wurde der Boykott jüdischer Händler und Geschäftsleute betrieben. 1936 beschloss der Aufsichtsrat der Porzellanfabrik, ihren jüdischen Vertreter Adler nicht mehr weiter zu beschäftigen. Adler war auf einer Messe des Einkaufsverbandes Keramik als Jude erkannt worden. Das Hemd war ihm aufgeschlitzt und der Stand der Porzellanfabrik Stadtlengsfeld mit Plakaten beklebt, auf denen stand: „Kauft nicht bei Juden!“.


1935 ließ Bürgermeister Rausche an den Ortseingängen Schilder mit der Aufschrift „Achtung! Judengefahr!“ aufstellen. Zu diesem Zeitpunkt lebten in der Kleinstadt noch sieben Familien mit 18 jüdischen Einwohner:innen. Auf Drängen des Hauptaktionärs Büchner der Porzellanfabrik, der wirtschaftliche Schäden für das Exportgeschäft fürchtete, wurden diese Schilder schließlich entfernt.


Bezeichnend für die Ausgrenzung der jüdischen Einwohner aus dem öffentlichen Leben der Stadt waren Geschäftsanzeigen wie „Judenfrei“.



Anzeige der Gastwirtschaft „Zur Rhön“ in der Festbroschüre zum 700jährigen Stadtjubiläum, 1935. (Kommunales Archiv Stadtlengsfeld)

Die Ereignisse im November 1938

Im Rahmen der sogenannten Polenaktion schob die Polizei das in der Schulstraße 1 lebende Ehepaar Peter und Bella Wildmann mit ihren vier Kindern am 28. Oktober 1938 nach Polen ab. Dort verlieren sich ihre Spuren.


Am 10. November 1938 wurde auch in Stadtlengsfeld die Synagoge von Mitgliedern der NSDAP verwüstet. Eine Augenzeugin erinnert sich: „In Stadtlengsfeld begann die Zerstörung der Synagoge am Abend des 10. November 1938. Nachdem der Befehl zur Zerstörung erteilt worden war, schlugen die dafür vorgesehenenMänner die Fenster ein. Durch Eintreten der Türen wurde sich gewaltsam Zutritt zum Inneren der Synagoge verschafft. Es dauerte auch nicht lange, da bot sich dem Beschauer ein grausiges Bild. Die Gebetbücher flogen auf die Straße. Es folgten zerbrochene Stühle und sonstige Einrichtungsgegenstände. Alles, was sich nicht zerschlagen ließ, fiel der Vernichtung anheim. Nachdem das Zerstörungswerk vollendet war, wurden die Türen mit Brettern vernagelt. Nicht nur die Synagoge, sondern auch auf dem jüdischen Friedhof wurde der Gewalttätigkeit Ausdruck verliehen. Grabstätten wurden verwüstet, Grabsteine umgeworfen und teilweise auch zerschlagen.“


(Bericht Martha Heift, 1985, zit. nach: Rolf Leimbach/Stefan Frühauf, Ein Rückblick auf jüdisches Leben in Stadtlengsfeld, S. 34 f.)


Weil die Gefahr bestanden hätte, dass das Feuer auf angrenzende Gebäude übergreift, verzichteten die Täter darauf, in der Synagoge Feuer zu legen. Sie zerstörten jedoch die Inneneinrichtung und schlugen Fensterscheiben ein. Anschließend wurden Fenster und Türen notdürftig mit Brettern vernagelt.



Stark beschädigte Synagoge in der Burgstraße 8 (heute Amtsstraße), nach dem 10. November 1938. (Kommunales Archiv Stadtlengsfeld)


 


 



Synagoge Stadtlengsfeld, nach dem 10. November 1938. Es handelt sich um eine für die NS-Presse gestellte Aufnahme, für die Kinder aufgefordert wurden, Einrichtungsgegenstände auf die Straße zu tragen. Die originale Bildunterschrift lautet: „Das jüdische Gebetshaus nach der am 10.11.38 erfolgten Ausräumung durch die sehr empörte Bevölkerung. Die Kinder tragen die übriggebliebenen Gebetsrollen auf den Scheiterhaufen.“ (Kommunales Archiv Stadtlengsfeld)
 


 



Eingangsportal zum jüdischen Friedhof, 2010. Der Davidstern inmitten der Jahreszahl 1928 wurde am 10.11.1938 herausgeschlagen. (Foto: Rolf Leimbach)


 




Beim Pogrom am 10. November 1938 beschädigter Grabstein auf dem jüdischen Friedhof, 1985. (Foto: Rolf Leimbach)


 


Nach dem Pogrom wies die Stadtverwaltung die wenigen noch in Stadtlengsfeld verbliebenen jüdischen Einwohner:innen an, die verwüstete Synagoge abreißen lassen und das Grundstück vom Bauschutt reinigen. Doch dazu war die bis auf wenige Mitglieder im Ort verbliebene israelitische Kultusgemeinde nicht mehr in der Lage. Der Gemeinde blieb gar nichts anderes übrig, als auf das Grundstück mit den darauf befindlichen Gebäuden zu verzichten und der Stadt zu überlassen.


Mit Hermann Freimark und vermutlich auch Simon Rothschild nahm die Polizei mindestens zwei Juden aus Stadtlengsfeld noch am selben Tag in „Schutzhaft“ und überstellte sie in das KZ Buchenwald. Beide wurden nach einigen Wochen wieder entlassen.



 

Folgen

Bereits vor den Pogromen hatten die meisten Jüdinnen und Juden aus Stadtlengsfeld die Stadt verlassen und waren emigriert oder in größere Städte umgezogen, in denen sie sich sicherer glaubten. Zu ihnen gehörten die Kaufmannsfamilien Huhn, Ullmann und Klar.


Nach seiner Entlassung aus dem KZ Buchenwald zog Hermann Freimark mit seiner Frau nach Eisenach. Simon Rothschild verließ die Stadt mit seiner Familie im Juni 1939. Das Ehepaar Freudenberg zog etwa zur gleichen Zeit nach Leipzig. Im September 1942 wurde es in das Ghetto Theresienstadt deportiert, Adolf Freudenberg starb dort im März 1943, seine Frau Pauline im Mai 1944. Als letzte jüdische Einwohnerin verließ die alleinstehende Golda Weiß (geb. 1884) Stadtlengsfeld. Von dort wurde sie mit unbekanntem Ziel deportiert und ermordet.


Ende 1939 gab es in Stadtlengsfeld keine jüdische Einwohner:innen mehr, jedoch lebten an anderen Orten in Deutschland noch etliche in Stadtlengsfeld geborene Jüdinnen und Juden. Fast alle wurden wenige Jahre später Opfer der Shoah. Nach derzeitigem Ermittlungsstand wurden mindestens 69 in Stadtlengsfeld geborene Jüdinnen und Juden ermordet. Kein Überlebender kehrte nach 1945 in die Stadt zurück.

Biographien

Dr. Josef Wiesen


Josef Wiesen wurde 1866 im ungarischen Ittebe geboren. Seine Schulzeit verbrachte er in Ittebe, Osterode am Harz und am Israelitischen Lehrerseminar in Kassel, an dem er Abitur machte. Anschließend studierte er Philosophie, Hebräisch und Pädagogik an den Universitäten Marburg und Erlangen. Nach seiner Promotion im Jahr 1892 wurde er Rabbiner in Böhmen. Ab 1898 war er Landesrabbiner in Stadtlengsfeld, wo er mit seiner ersten Frau Ida (sie starb 1905) und drei Kindern lebte. 1911/12 zog Josef Wiesen mit den Kindern nach Eisenach um, er blieb aber bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1930 Landesrabbiner. 


1919/20 wurde Josef Wiesen überregional durch eine Auseinandersetzung mit dem völkischen Antisemiten und späteren NSDAP-Gauleiter von Thüringen Artur Dinter bekannt, dessen Buch „Die Sünde wider das Blut“ er scharf kritisierte.


Bei den Novemberpogromen nahm die Polizei Josef Wiesen in Eisenach in Schutzhaft und brachte ihn in das KZ Buchenwald. Von dort wurde er aber bald wieder entlassen. 1941 starb seine zweite Frau Elsa. Am 19. September 1942 deportierten ihn die Behörden in das Ghetto Theresienstadt, wo er am 15. November desselben Jahres starb. Von seinen vier Kindern (in zweiter Ehe hatte er noch einen Sohn, der 1937 in die USA emigrierte) überlebten drei; seine Tochter Hertha, geb. 1894, wurde 1942 in Riga ermordet.



Josef Wiesen, undatiert. (Sammlung Rolf Leimbach)
 


Hermann und Meta Freimark


Hermann Freimark wurde 1875 in Homburg am Main (Bayern) geboren. 1907 heiratete er in Stadtlengsfeld Meta (nach anderen Angaben Mathilde) Löwenstein, geboren 1973 in Gehaus nahe Stadtlengsfeld. Das Ehepaar betrieb eine Fleischerei in der Burgstraße (heute Amtsstraße) 1 in Stadtlengsfeld und hatte zwei Kinder, Alfred und Karoline. Beiden gelang 1938 die Auswanderung in die USA.


Hermann Freimark wurde nach dem Pogrom am 10. November 1938 in das KZ Buchenwald eingewiesen. Nach seiner Entlassung zog das Ehepaar Freimark am 9. Dezember 1938 nach Eisenach. Von dort aus wurden die beiden am 19. September 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Hermann Freimark starb dort im März 1943, seine Frau Meta Ende Januar desselben Jahres. 



Fleischerei Hermann Freimark, um 1930; Von links nach rechts: Karoline Freimark, Meta Freimark, Hermann Freimark, Alfred Freimark. (Sammlung Rolf Leimbach)


 



Entlassungsschein des KZ Buchenwald für Hermann Freimark, 23. November 1938. (Kommunales Archiv Stadtlengsfeld)


 


Familie Rothschild


Simon Rothschild wurde 1886 in Völkershausen bei Eisenach geboren. Verheiratet war er mit Selma Lahnstein, geboren 1888 in Büdingen (Hessen). Die beiden betrieben in Stadtlengsfeld ein Möbelgeschäft in der Ratsgasse 15. In der jüdischen Gemeinde war Simon Rothschild um 1924 Rechnungsführer und Schochet. Das Ehepaar hatte drei Kinder: Liselotte (geb. 1921), Kurt (geb. 1923) und Ruth (geb. 1927). Kurt Rothschild emigrierte 1937 im Alter von 14 Jahren in die USA, seine Schwester Liselotte konnte kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges nach England fliehen.



Familie Rothschild, um 1936. Von links nach rechts: Kurt, Selma, Ruth, Simon und Liselotte Rothschild. (Sammlung Rolf Leimbach)#


 



Ausstellung des Möbelgeschäfts Rothschild auf einer Gewerbeschau in Stadtlengsfeld, 1931. (Sammlung Rolf Leimbach)


 


Ob das Geschäft der Familie Rothschild beim Novemberpogrom beschädigt wurde, ist nicht bekannt. Simon Rothschild wurde vermutlich am 10. November 1938 verhaftet und in das KZ Buchenwald eingewiesen. Einen Monat später wurde er wieder entlassen.


Im Juni 1939 zog das Ehepaar Rothschild nach dem Verkauf des Hauses mit der jüngsten Tochter Ruth nach Frankfurt/Main. Von dort aus wurde die Familie am 20. Oktober 1941 in das Ghetto Litzmannstadt (Łódź) im annektierten Warthegau deportiert. Simon Rothschild starb dort bereits zwei Monate später, am 18. Dezember 1941. Auch Selma und Ruth Rothschild überlebten das Ghetto Litzmannstadt nicht, ihre Todesdaten sind aber nicht bekannt.



Bestätigung der Stadt Frankfurt/Main über die letzte Meldeadresse von Simon und Selma Rothschild, 22. August 1950. Mit der Bezeichnung „evakuiert“ übernahmen die Behörden einen verschleiernden NS-Begriff. Gemeint ist die Deportation in das Ghetto Litzmannstadt im Oktober 1941. (Arolsen Archives)
 

Justizielle Ahndung

Der ehemalige Ortsgruppenleiter der NSDAP und Bürgermeister Rudolf Rausche wurde im April 1945 nach dem Einmarsch amerikanischer Truppen von US-Soldaten festgenommen und soll mit unbekanntem Ziel weggebracht worden sein.


Mehrere Stadtlengsfelder NSDAP-Mitglieder und Funktionsträger des NS-Regimes wurden nach der Übergabe Thüringens an die sowjetische Besatzungsverwaltung interniert. Dabei standen jedoch meist nicht Verbrechen gegen die jüdische Bevölkerung, sondern eher Sicherheitsinteressen der Besatzungsmacht und der pauschale Hinweis auf die Tätigkeit für die NSDAP im Vordergrund. 

Spuren und Gedenken

Die ehemalige Synagoge von Stadtlengsfeld wurde bereits während des Zweiten Weltkrieges zu einem Wohn- und Geschäftshaus umgebaut. Als solches dient das Gebäude auch heute; eine Gedenk- oder Hinweistafel zur Geschichte des Hauses gibt es nicht. Auch das Gebäude der ehemaligen jüdischen Schule ist erhalten geblieben; es ist heute ein Wohnhaus. 



Ehemalige Synagoge in der Amtsstraße 8, 2020. (Foto: Rolf Leimbach)


Auch das Gebäude der ehemaligen jüdischen Schule, das seit 1850 als gemeinsame Schule für jüdische und christliche Kinder diente, ist erhalten geblieben; es ist heute ein Wohnhaus. 


Der jüdische Friedhof, mit rund 600 Grabsteinen einer der größten in Thüringen, ist erhalten geblieben. Der 1938 abgeschlagene Davidstern über dem Eingangsportal wurde 2012 wieder angebracht.


Einen auf dem Alten Friedhof in der Nachbargemeinde Dermbach 2018 aufgestellten Gedenkstein mit den Namen der aus Dermbach stammenden Holocaust-Opfer zerstörten Unbekannte im Februar 2022.



Eingangsportale des jüdischen Friedhofes, 2012. (Foto: Rolf Leimbach)


 



Teilansicht des jüdischen Friedhofes, 2020. (Foto: Rolf Leimbach)


 



Führung für Jugendliche auf dem jüdischen Friedhof, 2012. (Foto: Rolf Leimbach)
 


Auf Veranlassung der Familie Kurt und Hanna Rothschild aus New York wurden im September 2017 gegenüber dem Rathaus fünf Stolpersteine für die Familie Rothschild verlegt. Das sind zurzeit die einzigen Stolpersteine in Stadtlengsfeld.



Stolpersteine für die Familie Rothschild, 2017. (Foto: Rolf Leimbach)
 


Das Kriegerdenkmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten („Unseren Helden“) wurde 2000 durch eine Gedenktafel für die Opfer des Zweiten Weltkrieges und des Nationalsozialismus ergänzt.


 


 

Weiterführende Literatur und Links

Literatur

Leimbach, Rolf: Spuren der israelitischen Gemeinde von Stadtlengsfeld, Norderstedt 2021 (Lengsfelder Geschichte, XIII).
Mihan, Juliane Irma: „Vollständige Gleichberechtigung und Gleichverpflichtung“ Die jüdisch-christliche Simultanschule in Lengsfeld, Berlin 2017.

Links

Internetseite des Kultur- und Geschichtsvereins e.V. Stadtlengsfeld: www.kgv-stadtlengsfeld.com
Stadtlengsfeld: https://www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/s-t/1853-stadtlengsfeld-thueringen 

Autor

Rolf Leimbach, Stadtlengsfeld