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Vorgeschichte

Im Spätmittelalter und Beginn der Neuzeit gab es bereits jüdisches Leben in Altenburg. Da es aber immer wieder zu Pogromen, Vertreibungen und zeitweisen Aufenthaltsverboten im Herzogtum Sachsen-Altenburg kam, gab es etwa seit Mitte des 15. Jahrhunderts lange Zeit keinerlei Menschen jüdischen Glaubens. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstand erneut ein lebendiges jüdisches Leben in der Stadt. Die jüdische Gemeinde wuchs bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs auf knapp 200 Personen und sank im Laufe der Weimarer Republik bis ins Jahr 1933 auf 134 Menschen. Neben Altenburg umfassen diese Zahlen vor allem noch Meuselwitz, der einzige weitere bedeutende Ort für jüdisches Leben im Altenburger Land, wobei sich generell festhalten lässt, dass sich jüdisches Leben vor allem auf Stadt Altenburg konzentrierte. In Meuselwitz gründete sich dennoch 1909 die erste „Israelitische Kultusgemeinde", allerdings nahm die Anzahl jüdischer Menschen in Meuselwitz nach dem Ersten Weltkrieg ab. In anderen Orten des Kreises Altenburg wie Schmölln, Gößnitz, Kriebitzsch, Mumsdorf und Zipsendorf spielte jüdisches Leben keine größere Rolle. Hier lebten nur einzelne jüdische Menschen. In Altenburg richtete die jüdische Gemeinde für Gottesdienste einen Betsaal ein, der sich wohl seit den späten 1920er Jahren in der Pauritzer Straße 54 befand. Im selben Gebäude befand sich auch die jüdische Religionsschule.


Die jüdische Bevölkerung bestand im Wesentlichen aus zwei größeren Gruppen: Zum einen waren dies Staatsangehörige des Deutschen Reiches mit jüdischen Vorfahren, die zum Teil jüdischen Glaubens waren, teilweise aber auch konvertiert oder atheistisch. Zum anderen gab es eine große Gruppe von jüdischen Menschen aus Galizien, Oberschlesien und Russischpolen, die als Arbeiter:innen in der wachsenden Industrie Altenburgs und des Umlands Anstellung suchten oder vor Pogromen in ihren Herkunftsregionen Schutz suchten. Diese Menschen wurden, meist abfällig, „Ostjuden" genannt. Die deutschen Juden waren meist assimiliert, deutsch-patriotisch gesinnt und befürworteten eine liberale Konfessionsauslegung. Die „ostjüdische" Bevölkerung war überwiegend konfessionell orthodox und anhand von Sprache und Kleidung als jüdisch erkennbar. Die assimilierten, deutschen Juden und Jüdinnen waren in die Altenburger Stadtgesellschaft überwiegend integriert. Auch zur jüdischen Gemeinde in Leipzig bestanden Verbindungen: An höheren Feiertagen besuchten sie die Synagoge in Leipzig und bestatteten Angehörige auf dem Leipziger Jüdischen Friedhof. Viele der in Altenburg lebenden Juden und Jüdinnen arbeiteten in der Schuh- und Textilbranche, zum Teil auch als eigene Ladeninhaber:innen.


Gegen Ende der 1920er Jahre nahm auch in Altenburg der Antisemitismus zu. Ende 1929 kam es zu ersten Überfällen von Nationalsozialisten gegen jüdische Einwohner:innen und 1932 organisierte der NSDAP-Kreisleiter Max Hausschild eine Veranstaltung mit Hitler in Altenburg.



Altenburger Zeitung für Stadt und Land, 3. April 1933.  (LATh-StA Altenburg)



Am reichsweiten „Judenboykott“ vom 1. April 1933 wurden auch in Altenburger Geschäfte jüdischer Eigentümer:innen blockiert. Unterstützer:innen der NSDAP, vor allem SA-Leute, blockierten jüdische Geschäfte und versuchten Kund:innen einzuschüchtern. Organisator des Boykotts in Altenburg war der NSDAP-Kreisleiter Max Hauschild. Im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Städten formierte sich in Altenburg, das lange eine Hochburg der SPD gewesen war, Widerstand und Solidarität mit den Betroffenen. In der Sporenstraße in der Innenstadt sammelte sich eine große Menschenmenge, die sich gegen den Boykott stellte und sich Handgemenge mit der SA lieferte. Dies musste sogar die „Altenburger Zeitung für Stadt und Land“ in ihrer Ausgabe vom 3. April 1933 einräumen.


Auch wenn der Boykott gegen jüdische Geschäfte nicht wie von der NSDAP geplant verlief, hatte er trotzdem unmittelbare Folgen für die jüdische Gemeinde Altenburgs. Nachdem etwa noch im Januar 1933 die Vermietung und der Umbau eines Beckens der örtlichen Badeanstalt als Mikwe gestattet worden war, nahm die jüdische Gemeinde nach dem Boykott selbst Abstand von dem Vorhaben. Auch reisten bereits gegen Ende 1933/Anfang 1934 ca. zehn Personen der Familien Grünwald, Wiesel und Murach nach Palästina aus.


Nach 1933 verschlechterte sich die Lage der Jüdinnen und Juden in Altenburg zusehends. Wie überall im Deutschen Reich verloren jüdische Beamte ihre Stellen und wurden jüdische Unternehmer:innen gedrängt, ihre Geschäfte und Betriebe an nichtjüdische Deutsche unter Wert zu verkaufen. Die jüdische Gemeinde wurde immer mehr ausgegrenzt und entrechtet. Schon vor den Pogromen im November 1938 wurden einzelne Altenburger Juden in Konzentrationslager eingewiesen, so etwa Israel Soltes, der auf Sozialleitungen angewiesen war und im Juni 1938 im Zuge der „Aktion Arbeitsscheu Reich“ in das KZ Buchenwald verschleppt wurde. Anfang September 1938 wurde er zwar aus Buchenwald entlassen und kehrte für kurze Zeit nach Altenburg zu seinen fünf Kindern zurück. Doch schon am 28. Oktober 1938 wurde die Familie nach Polen deportiert. Israel Soltes verstarb im Warschauer Ghetto. Von seinen fünf Kindern überlebte nur der Sohn Siegfried.



Karteikarte des KZ Buchenwald für Israel Soltes, 1938. (Arolsen Archives)



Israel Soltes, undatiert. (Yad Vashem)


Die Familie Soltes war nicht einzige, die Opfer der „Polenaktion“ vom 28. Oktober 1938 wurde. Der Lokalforscher Christian Repkewitz geht davon aus, dass 50 Personen aus Altenburg und 4 Personen aus Meuselwitz auf der Ausweisungsliste standen, von denen insgesamt wahrscheinlich 42 tatsächlich auch abgeschoben wurden. Schon am Morgen des 28. Oktober wurden die Menschen von der Polizei in ihren Häusern aufgesucht. Innerhalb von 13 Minuten mussten sie ihre Koffer packen; erlaubt war nur ein Handgepäck pro Person. Über Leipzig wurden die Ausgewiesenen per Bahn nach Polen abgeschoben.

Die Ereignisse im November 1938

Anhand von (Zeugen-)Berichten, überlieferten Erinnerungen und Akten aus den Entnazifizierungsverfahren lassen sich einige Ereignisse der Pogrome in Altenburg in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 recht konkret rekonstruieren. Beauftragt vom NSDAP-Kreisleiter Max Hauschild ging dabei die meiste Gewalt von SA-Männern aus. In amerikanischer Internierungshaft fertigte Hauschild 1948 Notizen an. Danach habe er vom stellvertretenden Gauleiter Heinrich Siekmeier folgenden Befehl erhalten: „Heute Nacht gehen in Thüringen sämtliche Synagogen in die Luft. Die Juden werden aus den Wohnungen geholt und zur Polizei gebracht. Mit der Durchführung ist die SA zu beauftragen. Die Polizei weiß Bescheid. Es können ruhig ein paar Fensterscheiben dabei kaputt gehen“ (LATh-StA Altenburg, Nachlass Hauschild Nr. 2, Bl. 46 und 46 R). Er habe, so Hauschild in seinen Notizen, diesen Befehl an die SA weitergegeben, die in Zusammenarbeit mit der örtlichen Polizei entsprechend handelte.


Etwa 50 bis 100 SA-Männer, überwiegend Angehöriges des SA-Sturms 153, erhielten den Auftrag, 21 männliche Juden als „Vergeltung" für das Grynszpan-Attentat festzunehmen und in Polizeigewahrsam zu bringen. Es wurde offenkundig erlaubt, dabei „nach eigenem Ermessen" Gewalt gegen sie anzuwenden. Die Namen der festzunehmenden Juden standen zu diesem Zeitpunkt bereits fest, was den geplanten Charakter der Pogromnacht verdeutlicht. Die SA-Männer sollten sich in Zivil kleiden, nicht zuletzt auch, um den Pogrom als Empörung und Aufstand der Zivilbevölkerung darstellen zu können. Zahlreiche jüdische Männer wurden in den frühen Morgenstunden des 10. November, etwa gegen 5 Uhr, zu Hause überfallen, aus ihren Betten gezerrt und in Schlafanzügen durch die Stadt zum Rathaus getrieben. Vielfach wurden sie dabei geschlagen und bespuckt; die Wohnungen wurden demoliert.


In den Protokollen der Kommission zur Durchführung des Befehls 201 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) zu Kurt Marquart und Hans Thierfelder etwa ist zu lesen, dass diese mit insgesamt fünf Mann die jüdischen Geschäftsleute Sally Bucky und Albert Levy (und mit ihnen wohl auch Fritz Leiser) verhaften ließen. Thierfelder habe sich sogar einen Tag später noch auf der Arbeit damit gerühmt, dass seine Hände aufgrund der Misshandlungen noch immer geschwollen sein. Marquart berichtet außerdem von Misshandlungen gegen Isaak Rothenberg auf dem Altenburger Markt. Unter Schlägen und barfuß wurde er über den Kornmarkt zum Polizeigebäude getrieben, wo er blutüberströmt ankam. Von den besonderen Verletzungen Isaak Rothenbergs zeugt auch der Bericht des Oberstaatsanwalts in Altenburg an den Generalstaatsanwalt in Jena vom 10. November 1938. In dem Bericht ist außerdem zu lesen, dass Kurt Löwenstamm mit Farbe beschmiert wurde, was auch durch die Entnazifizierungsakte von Konrad Fleck bestätigt wird. Auch der damalige jüdische Schlosser-Auszubildende Gerhard Kohn erinnert sich später an die Pogromnacht: „Im November 1938 wurde ich aus dem Bett heraus verhaftet und barfuß, nur mit Schlafanzug bekleidet, in der starken Kälte unter Tritten und Schlägen zum Marktplatz getrieben. Anschließend wurde ich dann einige Tage im Gefängnis in Altenburg in Einzelhaft gehalten“ (zit. nach Repkewitz 2018, S. 25 f.).


Im Zuge des Pogroms wurden auch zahlreiche jüdische Geschäfte demoliert, so etwa die Geschäfte von Isaak Rothenberg, Kurt Löwenstamm, Nathan Dannemann und der Familie Goldberg. Anschließend wurden die Fassaden mit antisemitischen Parolen beschmiert.




Bericht des Oberstaatsanwaltes in Altenburg an den Generalstaatsanwalt in Jena, 10. November 1938. (Hauptstaatsarchiv Weimar)


Wie auch an anderen Orten berichtete die Staatsanwaltschaft in Altenburg ihrer vorgesetzten Stelle, in diesem Fall dem Generalstaatsanwalt in Jena, noch am selben Tag teilweise detailliert von den Ereignissen. Die Formulierung, Personen seien „kaum zu Schaden“ gekommen, zeigen jedoch, dass es sich um einen verharmlosenden Bericht handelt.


Neben den jüdischen Wohnungen und Geschäften traf die Zerstörungswut auch den Betsaal in der Pauritzer Straße - und dies wohl auch unter aktiver Beteiligung der Zivilbevölkerung. Der Betsaal wurde aufgebrochen und verwüstet, die Einrichtung zertrümmert, Bücher wurden zerfetzt und auch die Thora-Rollen entweiht, indem sie dem Schrein entrissen, auf der Straße ausgebreitet, überfahren und bespuckt wurden. Die Polizei deckte die Ausschreitungen, nachdem ihr Kreisleiter Hauschild Hilfeleistungen untersagt hatte und sie angewiesen hatte, die antisemitischen Randalierer gewähren zu lassen.


Wie fast überall im Deutschen Reich berichteten auch die Altenburger Zeitungen nur mit Kurzmeldungen über die Pogrome. Mindestens zwei lokale Zeitungen brachten am 10. November 1938 kurze Meldungen, die die Pogrome zugleich rechtfertigten und verharmlosten.



Kurzmeldung der „Altenburger Zeitung für Stadt und Land“, 10. November 1938. (LATh – StA Altenburg)



Altenburger Landeszeitung, 10. November 1938. (LATh – StA Altenburg)


Auch in umliegenden Städten wie Meuselwitz und Rositz kam es zu Übergriffen. In Rositz soll auch der Bürgermeister an den Gewalttaten beteiligt gewesen sein. Es wurden jüdische Geschäfte zerstört, und in Meuselwitz wie auch in Gößnitz wurden jüdische Menschen verhaftet.


Im Zuge der Pogromnacht wurden in Altenburg insgesamt 21 Juden in „Schutzhaft“ genommen. Sally Bucky und Koloman Kaiser sollen noch am selben Abend des 10. November wieder entlassen worden sein, während die anderen ins Landgerichtsgefängnis überführt wurden. Von dort wurden vier weitere Juden noch am 10. November wieder entlassen. Die übrigen 15 blieben bis zum 12. November im Gefängnis, zwölf Männer wurden von dort in das KZ Buchenwald eingeliefert. In Meuselwitz wurden sechs jüdische Menschen (fünf Männer und eine Frau), in Gößnitz ein jüdischer Mann verhaftet. Bis auf Rosa Sternberg aus Meuselwitz kamen auch hier alle übrigen sechs Inhaftierten in das KZ Buchenwald.


In Buchenwald litten die Inhaftierten unter Gewalt und Misshandlungen durch die SS. Max Sternberg aus Altenburg berichtete von Schlägen mit Hacken, Stangen, Latten und Peitschen, mit denen die neu Angekommenen vom KZ-Wachpersonal geschlagen wurden. Klara Tempel, die Ehefrau des inhaftierten Chaim (Hermann) Tempel aus Gößnitz, berichtete später vom schlechten Zustand ihres Mannes bei der Rückkehr aus Buchenwald, als er „Wochen [...] zwischen Leben und Tod stand" (zit. nach Repkewitz 2018, S. 33). Nathan Dannemann aus Altenburg, der am 23. November 1938 aus Buchenwald entlassen wurde, starb sechs Tage später an den Folgen der Misshandlungen.


Nach wenigen Wochen wurden die ersten Verhafteten aus Altenburg wieder aus dem KZ Buchenwald entlassen – zumeist gegen die Zusicherung, sich um die Auswanderung aus Deutschland zu bemühen. Als letzter Altenburger Jude wurde Max Kornmehl am 19. Januar 1939 entlassen.

Folgen

Im Anschluss an die Novemberpogrome nahm die Schikane und auch die Gewalt gegen jüdische Menschen in Altenburg weiter zu. Für die Schäden der Ausschreitungen an Geschäften und Wohnungen mussten sie selbst aufkommen. Auch die Verordnung zur „Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Geschäftsleben“ vom 12. November 1938 wurde in Altenburg vom Polizeiamt durchgesetzt: Die noch bestehenden jüdischen Geschäfte wurden – teilweise in Abwesenheit der Betroffenen – geschlossen und „arisiert“ und letztendlich ein komplettes Berufsverbot für jüdische Menschen durchgesetzt. Jüdische Schüler:innen wurden endgültig von ihren Schulen verwiesen und mussten, falls die Familie das Geld dazu hatte, zur jüdischen Carlebach-Schule in Leipzig pendeln. In der Bahn durften Jüdinnen und Juden aber nicht sitzen, in der Stadt Altenburg noch nicht einmal den Bus benutzen. 


Ab 1939 verschickte das Polizeiamt Altenburg alle drei Monate Ausreise-Anweisungen an die verbliebenen jüdischen Bürger:innen. Bis zur Ausreise sollten sie sich jeden Donnerstag bei der Polizei melden. Angesichts des Verfolgungsdrucks entschieden sich viele Jüdinnen und Juden aber auch „freiwillig" zur Emigration und versuchten vor allem, ihre Kinder mithilfe des Leipziger Palästina-Amts ins Ausland zu schicken.


Etwa zur Jahreshälfte 1939 lebten noch gut 40 jüdische Menschen in Altenburg. Im August 1939 mussten sie in sogenannte „Judenhäuser" auf engem Raum zusammenziehen. Die Altenburger „Judenhäuser“ befanden sich in der Kronengasse 2, der Zeitzer Str. 21, der Teichstr. 1, der Pauritzer Str. 37, der Johannisstr. 5/6 und der Wenzelstr. 5.


Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 verschlechterte sich die Lage abermals. Die Fluchtwege ins Ausland waren nun verschlossen. Zudem wurden etliche Altenburger Juden zur Zwangsarbeit vor allem in den HASAG-Werken in Altenburg und Meuselwitz verpflichtet. Von dort aus wurden viele von ihnen bis 1942 in Konzentrationslager und Ghettos deportiert. Auch aus Altenburg wurden unabhängig von den Deportationen des Jahres 1942 einzelne Juden in Konzentrationslager überstellt, so etwa im August 1942 der 64-jährige ehemalige Schauspieler Karl Schorr. Er wurde als „Arbeitserziehungshäftling“ in das KZ Buchenwald eingewiesen, nachdem er mit dem Verwalter eines Hofes bei Altenburg, auf dem er mit seiner Frau lebte, in Konflikt geraten war. In Buchenwald ermordete ihn die SS mit einer Giftinjektion.



Karteikarte des KZ Buchenwald für Karl Schorr, 20. August 1942. (Arolsen Archives)


Für die meisten noch in Altenburg lebenden Jüdinnen und Juden kam das Ende im Mai 1942 mit der Deportation in das Ghetto Bełżyce. 17 Personen stehen auf der Deportationsliste vom 10. Mai 1942. Mindestens elf von ihnen wurden noch im selben Jahr ermordet. Zwei weitere Altenburger:innen, das Ehepaar Adele und Selig Rosenberg, wurden im September 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Beide starben dort im Dezember 1942.



Liste der Gestapo der aus Altenburg nach Bełżyce deportierten Jüdinnen und Juden, 10. Mai 1942. (Arolsen Archives)

Exkurs

1944 richtete die SS zur Unterbringung von KZ-Zwangsarbeiter:innen in der Region Altenburg mehrere Außenlager des KZ Buchenwald ein: In Altenburg entstand Anfang August 1944 ein Lager für 2440 Frauen aus ganz Europa, vor allem aber aus Polen, Ungarn und Russland. Unter ihnen waren viele Jüdinnen sowie Sintizze und Romnja. Die meisten mussten Zwangsarbeit in einer Munitionsfabrik des HASAG-Konzerns leisten. Im November kam ein kleineres Lager für etwa 85 überwiegend jüdische Männer hinzu; auch sie mussten für die HASAG arbeiten. Zwei weitere Außenlager des KZ Buchenwald richtete die SS im Oktober 1944 in Meuselwitz ein, eines für 1800 Frauen (überwiegend politische polnische Häftlinge) und das andere für rund 330 überwiegend jüdische Männer. Auch hier mussten die Gefangenen in einem Rüstungsbetrieb des HASAG-Konzerns arbeiten.


Im April 1945 räumte die SS die Lager und schickte die verbliebenen Häftlinge auf Todesmärsche Richtung Tschechien.

Biografien

Nathan, Alwine und Kurt Dannemann


Nathan Dannemann wurde am 11. November 1878 in Stettin geboren und kam zusammen mit seiner Frau Alwine, einer Protestantin, und seinem Sohn Kurt im November 1912 nach Altenburg. Er übernahm gemeinsam mit seinem Bruder Richard ein Schuhgeschäft in der Sporenstraße 8. Während des Ersten Weltkrieges stellte Nathan Dannemann ein Einbürgerungsgesuch, da er als ursprünglich russischer Staatsangehöriger die Staatsbürgerschaft verloren hatte. Das Gesuch wurde jedoch vom Ministerium des Inneren aus „allgemeinen politischen Gründen“ abgelehnt. Nathan Dannemann war Anhänger der KPD, eine Mitgliedschaft ist aber nicht belegt. 


In der Nacht des Novemberpogroms wurde Nathan Dannemann aus seinem Haus und durch die Stadt getrieben. Die Täter verletzten ihn und verwüsteten sein Schuhgeschäft. Mit 20 anderen männlichen Juden wurde Nathan Dannemann im Polizeigefängnis in „Schutzhaft“ genommen und am 12. November 1938 mit elf weiteren Verhafteten nach Buchenwald deportiert. Dort misshandelte ihn die SS schwer. An 23. November 1938 ließ ihn die SS wieder frei. Von den Misshandlungen schwer gezeichnet kehrte er nach Altenburg zurück und starb mit gerade einmal 60 Jahren am 29. November 1938 an den Folgen der Haft.



Kurt Dannemann, undatiert. (Yad Vashem)


Kurt Dannemann wurde am 14. Januar 1905 geboren. Nach der antisemitischen Gesetzgebung der NSDAP galt er als „Halbjude“ und war so wie sein Vater ab 1933 Ziel von Hass, Ausgrenzung und Verfolgung. Nach dem Tod seines Vaters versuchten er und seine Mutter das Schuhgeschäft weiterzuführen, sie wurden jedoch zu Schließung und Verkauf gedrängt. Um diese Schikanen zu umgehen, wurde zunächst die nicht-jüdische Verlobte Kurt Dannemanns als Prokuristin eingestellt.


Am 17. April 1942 wurde Kurt Dannemann wegen „Rassenschande“, also der Beziehung mit einer Nicht-Jüdin, ins KZ Buchenwald eingeliefert. Er galt dort als „politischer Jude“. Sechs Monate später überstellte ihn die SS nach Auschwitz. Dort wurde er wenig später, im November 1942, ermordet.



Karteikarte aus dem KZ Buchenwald für Kurt Dannemann, 1942. (Arolsen Archives)


Nach dem Mord an Mann und Sohn wurde Alwine Dannemann endgültig gedrängt, das Schuhgeschäft für einen viel zu geringen Preis an ein NSDAP-Mitglied zu verkaufen. Als Begründung wurde ihre mangelnde persönliche Zuverlässigkeit angegeben. Die Kaufsumme von 100.000 Reichsmark wurde zwar getätigt, allerdings auf ein Konto, auf das Alwine Dannemann keinen Zugriff hatte. Auch sie starb kurze Zeit darauf, am 21. Juli 1944, mit gerade einmal 59 Jahren.


Max Kornmehl


Max Kornmehl, geboren 1908, war eines von vier Kindern des Zigarrenhändlers Chaim Kornmehl. Er war Bäcker und lebte mit seiner Schwester Anna alleine mit dem Vater, da seine Mutter bereits 1932 verstorben war und seine beiden Brüder Leopold und Siegfried bereits 1932 bzw. 1933 aus Altenburg weggezogen waren. Max Kornmehl wurde, wie sein Vater, 1938 im Rahmen der Novemberpogrome in Buchenwald interniert. Er wurde als letzter der Internierten am 19. Januar 1939 aus Buchenwald entlassen und kehrte zu seiner Familie zurück. Während seine Schwester im selben Jahr nach England ausreisen konnte, blieb Max Kornmehl mit seinem Vater Chaim zurück, welcher 1940 erschöpft durch die Drangsalierungen einen Schlaganfall erlitt und verstarb. 



Karteikarte des KZ Buchenwald für Max Kornmehl, 1938/39. Handschriftlich ist vermerkt: „entl.[assen] 19.1.39“. (Arolsen Archives)


Max Kornmehl wurde, wie nahezu alle verbliebenen Altenburger Jüdinnen und Juden, am 10. Mai 1942 nach Bełżycedeportiert und dort laut Zeugenaussagen direkt nach der Ankunft ermordet. Sein Bruder Siegfried wurde im November 1942 in Auschwitz ermordet. Nur Anna und Leopold Kornmehl überlebten die Zeit des Nationalsozialismus.


Ingolf Strassmann


Ingolf Strassmann wurde am 7. Juni 1930 in Zechau als drittes Kind des jüdischen Kaufmanns Philipp Strassmann und dessen christlicher Ehefrau Maria Strasssmann geboren. 1934 zog das Ehepaar nach Altenburg und lebte in der Brauhausstraße 33. Phillipp Strassmann wurde im Rahmen der „Polenaktion“ am 28. Oktober 1938 über die polnische Grenze bei Beuthen (Bytom) abgeschoben. Spätestens 1942 wurde er ermordet. Seine Frau Maria Strassmann erfuhr erst 1944 vom Tod ihres Mannes. Ab November 1938 durfte Ingolf Strassmann keine Schule in Altenburg mehr besuchen und fuhr täglich nach Leipzig in die jüdische Ephraim-Carlebach-Schule. Im Januar 1939 erhielt die Familie die Anweisung, innerhalb von drei Monaten Deutschland zu verlassen. Maria Strassmann bemühte sich, ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Ingolf Strassmann und seine älteren Geschwister Mignon und Jürgen (geb. 1926 und 1928) reisten im August 1939, wenige Wochen vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, mit einem Studentenvisum nach Palästina aus. Ingolf Strassmann lebte dort bis Juni 1957 und kehrte dann nach Deutschland zurück und zog zu seiner Mutter nach Oberbayern. Er studierte Elektrotechnik und blieb anschließend in Deutschland. Auch seine beiden jüngeren Geschwister Olaf und Joachim (geb. 1932 und 1936) überlebten trotz Deportation ins Ghetto Theresienstadt den Holocaust.


Ingolf Strassmann engagierte sich jahrzehntelang für die Erinnerung an den Holocaust und forschte ausgiebig zu den aus Altenburg stammenden Jüdinnen und Juden. 2004 erschien sein Buch „Die Juden in Altenburg. Stadt und Land“. Ingolf Strassmann starb im Juli 2013 im Alter von 83 Jahren.



Cover des Buches „Die Juden in Altenburg“ von Ingolf Strassmann, 2004.

Justizielle Ahndung

Einer der Hauptverantwortlichen für die Verfolgung der Altenburger jüdischen Bevölkerung und die Pogrome im November 1938 war NSDAP-Kreisleiter Max Hauschild (1886-1977). Amerikanische Soldaten nahmen ihn beim Einmarsch in Altenburg am 15. April 1945 gefangen und brachten ihn nach Hessen. Ab 1946 war er in Darmstadt interniert und wurde 1948 in einem Spruchkammerverfahren unter Anrechnung der Internierungshaft zu 2 ½ Jahren Arbeitslager verurteilt. Nach seiner Entlassung im August 1948 lebte er ab 1951 bis zu seinem Tod 1977 in Kassel. Einem Auslieferungsersuchen der Behörden in der SBZ bzw. der Sowjetischen Militäradministration von Ende 1947 gaben die Behörden in Hessen nicht statt.


Auch mindestens zwei Altenburger SA-Angehörige mussten sich nach dem Krieg für ihre Taten während der Pogrome verantworten: Mindestens bei Hans Thierfelder und Kurt Marquart hielt die lokale Entnazifizierungskommission eine Beteiligung bei den Pogromen für plausibel. Hans Thierfelder wurde als Hauptverbrecher eingestuft, das Verfahren entsprechend an eine höher gestellte Untersuchungsbehörde weitergeleitet. Kurt Marquardt wurde dennoch nur als Aktivist eingestuft und in Bezug auf eine Inhaftierung an die Kriminalpolizei überwiesen. Viele andere SA-Angehörige wurden ebenfalls als Aktivisten (Belastete) verbucht. Wie die jeweiligen Verfahren weiter verliefen und welche Konsequenzen jeweils folgten, haben wir an dieser Stelle nicht weiter erforscht.

Spuren und Gedenken

In der Stadt Altenburg erinnert seit dem 9. November 1998 am Standort des ehemaligen jüdischen Betsaals eine Gedenktafel an sein früheres Bestehen. Das Gebäude mit dem ehemaligen Betsaal und der Schule wurde mit allen Nachbarhäusern an der Pauritzer Straße vermutlich in den 1980er Jahren abgetragen. Ein genaues Datum liegt dazu nicht vor.



Gedenktafel am Standort des Hauses in der Pauritzer Straße, in dem sich bis 1938 der jüdische Betsaal befand, 2023. (Foto: Pit Strub) 


Seit 2007 wurden in Altenburg rund 70 Stolpersteine für jüdische Einwohner:innen Altenburgs verlegt, die Opfer der NS-Verfolgung wurden. Auf dem städtischen Friedhof wurde nach der Befreiung 1945 ein Massengrab für 99 jüdischen KZ-Häftlinge angelegt. Es handelt sich um Opfer aus dem Buchenwald der KZ-Außenlager Rehmsdorf. Ein Gedenkstein aus DDR-Zeiten bezeichnet sie als „Opfer des Faschismus“. Dass es sich um Juden handelt, wurde nicht erwähnt. Erst 2002 wurde auf Initiative des Überlebenden Ingolf Strassmann ein Gedenkstein mit Namen jüdischer und christlicher KZ-Zwangsarbeiter:innen aufgestellt. Einen jüdischen Friedhof gab es in Altenburg nicht, da die Gemeinde ihre Toten auf den jüdischen Friedhof in Leipzig bestattete.

(Kopie 1)

Quellen und Literatur

Baum, Grit: Private Einblicke in ein fremdes Leben. Der Nachlass des ehemaligen NSDAP-Kreisleiters Max Hauschild im Thüringischen Staatsarchiv Altenburg, in: Archive in Thüringen 25 (2014), S. 26 f.

Repkewitz, Christian: Verblasste Spuren...: Lebens- und Leidenswege jüdischer Einwohner der Stadt Altenburg von 1869 bis 1945, Altenburg 2014.

Repkewitz, Christian (2016): Verblasste Spuren... II: Lebens- und Leidenswege jüdischer Einwohner des Altenburger Landes von 1869 bis 1945, Altenburg 2016.

Repkewitz, Christian (2018): Schicksalstage, Altenburg 2018.

Strassmann, Ingolf: Die Juden in Altenburg. Stadt und Land, Altenburg 2004.

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Autor:innen: Anna Charlotte Vosgerau, Pit Strub (Studierende der FSU Jena)