Vorgeschichte
Etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts bewohnten Juden die Stadt Apolda. Die Ansiedlungsgründe waren verschieden. Einige erhofften sich den Aufbau einer neuen wirtschaftlichen Existenz, andere flohen vor Unruhen, Not oder Verfolgung. Sie kamen als Händler, Kaufleute, Geldverleiher oder Handwerker. Während der Weimarer Republik erhielten einzelne Juden aus Apolda auch Zugang zum öffentlichen Dienst.
Jüdinnen und Juden sind stets auf Antisemitismus gestoßen. Auf diesen gesellschaftlichen Druck reagierten die einzelnen Menschen unterschiedlich. Eine Möglichkeit war die Assimilation, sprich die Verdrängung bzw. Ablegung des Judentums. Diese Anpassungen gingen so weit, dass einige sogar ihren Namen änderten. Ein Beispiel ist der Arzt Dr. Rudi Moser. Sein eigentlicher Name lautete Moses. Der aus Wien stammende Rubin Wasserstrom änderte seinen Namen in der Hoffnung auf größere Akzeptanz in Robert Peller. Andere versuchten, ihr Judentum zu bewahren, zu pflegen und an die nächste Generation weiterzugeben. Tendenziell kann davon ausgegangen werden, dass die meisten Jüdinnen und Juden in Apolda den Weg der Assimilation gewählt haben.
Am Ende des Ersten Weltkrieges lebten in Apolda lediglich 23 Personen jüdischen Glaubens. Im Unterschied zu anderen Kommunen nahm ihre Zahl während der Weimarer Republik zu – auf etwa 80 Menschen gegen Ende der 1920er Jahre.
Das 1937/38 „arisierte“ ehemalige Kaufhaus Rosewitz, 2023. (Foto: Marcel Buder)
Zahlreiche jüdische Unternehmer engagierten sich sozial in Apolda, unter anderem für das städtische Kinderheim. In den 1920er Jahren wurden Juden oder mit Jüdinnen verheiratete Bürger zu Mitgliedern von Berufsgerichten oder anderen Funktionären gewählt. So war etwa der mit einer Jüdin verheiratete Max Sommer Stadtarchitekt. Vertrauensarzt der AOK Apolda wurde im April 1929 der bereits erwähnte Dr. Rudi Moser. Insgesamt waren Jüdinnen und Juden zu dieser Zeit vollkommen in die Stadtgesellschaft integriert.
„Der Jude ist auch ein von Gott geschaffener Mensch und unser Mitbruder.“ Leserbrief im Apoldaer Tageblatt mit dem Aufruf zur Toleranz gegenüber Juden, 17. Januar 1928.
Nichtsdestotrotz nahmen Antisemitismus und völkisches Denken auch in Apolda während der Weimarer Republik zu. Mit der Gründung der NSDAP-Ortsgruppe verstärkten sich auch vor Ort nationalistische und antisemitische Stimmungen. Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen und öffentlichen Angriffen, zumeist über die Presse. Diese prägten zunehmend die Stimmung in der Gesellschaft. Die Wahlanzeigen der extrem rechten Parteien und Gruppierungen arbeiteten mit antisemitischer Angstmache und dem Aufdrängen von Feindbildern, beispielsweise dem „jüdischen Großkapital“. Das Apoldaer Tageblatt stellte schon etliche Jahre vor 1933 immer wieder Platz für hetzerische Artikel zur Verfügung, was die Apoldaer Nationalsozialisten schamlos ausnutzten.
Unter Protest der Apoldaer Ortsgruppe des Zentralvereins deutscher Staatsangehöriger jüdischen Glaubens wurde am 9. November 1926 erstmals die Hakenkreuzfahne am Hauptpostamt aufgezogen. Im Vorfeld der Wahlen zum Thüringer Landtag im Januar 1927 schaltete sich sogar der spätere Propagandaminister Joseph Goebbels in die öffentliche Wahl-Debatte im Kreis Apolda ein. Auf einer Kundgebung bezeichnete er das Judentum als gesellschaftliches „Kernproblem“ und prophezeite einen Kampf auf Leben und Tod durch einen angeblich „neuen Menschen“ gegen das „jüdisch-kapitalistische System“. Er endete mit folgenden Sätzen: „Eine Bewegung, für die Blut fließt, kann im Strudel der Zeiten nicht untergehen! Der neue Mensch wird den kapitalistischen Menschen überwinden! Nur der Glaube ist notwendig, der in Ewigkeit und seit Ewigkeit Berge versetzt!“ (Apoldaer Tageblatt, 28.12.1926)
Die NSDAP hatte ihre Propaganda mittlerweile gezielt auf die Mittelschichten gerichtet. Sie stellten die oftmals jüdischen Warenhäuser und Konsumzentralen als angeblichen Todfeind der arbeitenden Bevölkerung dar, so auch in Apolda. Erstmals erschien 1929 in einer Annonce der NSDAP der Zusatz „Juden haben keinen Zutritt“ – eine Formulierung, die in nationalsozialistischen Kreisen von nun an nicht mehr fehlen sollte. Wie im gesamten Land fruchteten diese Maßnahmen auch in Apolda. Bei den Wahlen des Thüringer Landtages im Juli 1932 erreichte die NSPAD in Apolda einen Stimmenanteil von fast 50%.
Die jüdische Bevölkerung Apoldas erlebte in der Aufstiegszeit der Nationalsozialisten verhältnismäßig wenige physische Auseinandersetzungen. Allerdings ereignete sich in der Silvesternacht von 1931 auf 1932 ein Zwischenfall, der als Vorbote kommender Gräueltaten stehen konnte. Das Haus des jüdischen Unternehmers Julius (nach anderen Quellen Judka) Rechtmann war von Unbekannten angegriffen worden. Fensterscheiben wurden eingeschlagen und ein Plakat mit Hakenkreuz und Galgen angebracht. Das Apoldaer Tagesblatt verharmloste den Angriff als „Bubenstreich“.
Apoldaer Tageblatt, 2. Januar 1932
Julius Rechtmann war der Inhaber einer kleinen Kleiderfabrik, er beschäftigte dort acht Mitarbeiter. Er gehörte zur Gruppe der Juden mit polnischer Abstammung. Ende Oktober 1938 wurde er im Rahmen der sogenannten „Polenaktion“ nach Łódź abgeschoben. Fast seine gesamte Familie ist dort bzw. später in Auschwitz dem Holocaust zum Opfer gefallen.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten nahmen die antisemitischen Übergriffe in Apolda deutlich zu. Wie in den meisten anderen Städten in Deutschland veranstalteten die Nationalsozialisten am 1. April 1933 auch in Apolda den sogenannten Judenboykott. Vor insgesamt 17 Geschäften jüdischer Eigentümer:innen zogen SA-Posten auf und hinderten Kund:innen am Betreten der Läden. Einige Kundinnen, die Kuchen aus dem Kaufhaus des Mitinhabers Salinger trugen, sollen bespuckt worden sein. Bilder davon liefen zur Abschreckung als Vorspann im „Union-Theater“ vor dem Hauptfilm. Mit der Markierung einzelner Geschäfte als jüdisch wurde die erste Stufe der Ausgrenzung erreicht. Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ setzte die systematische Ausgrenzung und Entrechtung der Juden fort.
Die NSDAP hielt immer wieder Veranstaltungen ab, bei denen sich Redner über die angebliche „Verjudung“ ausließen. Erste junge Jüdinnen und Juden verließen Apolda in Richtung Palästina. Die Restriktionen zielten im Laufe der Zeit auf verschiedenste Bereiche des jüdischen Lebens ab. Im Rahmen einer NS-Kulturwoche schrieb Chorleiter Hans Keltsch: „Unser Liedgut darf niemals eine Kunstform sein, losgelöst vom Volksganzen, als etwas rasse- und artfremdes neben unserer Zeit hergehen…“ (Altenburger Tageblatt, 15.10.1934).
In den Monaten vor dem Nürnberger Parteitag 1935 häuften sich in den lokalen Medien reißerische Meldungen über angebliche jüdische Verbrecher. Einige Wochen vor der Verabschiedung der Nürnberger „Rassengesetze“ wurde für Apolda eine sogenannte „Judenliste“ erstellt, die 114 Namen aufführte. Sie unterschied in „A. Volljuden“ und „B. Judenstämmlinge“. Ihnen wurde der Zutritt zu den lokalen Kino-Theatern verboten. Im August 1935 kam es wie im gesamten Reich zu antisemitischen Kundgebungen der Nationalsozialisten.
Aufruf zu einem antisemitischen Vortrag in Heressen, einem Dorf nahe Apolda, 14. August 1935. (Apoldaer Tageblatt)
Nachdem sie eine deutsche Frau beleidigt haben soll, wurde die „Halbjüdin“ Erika Dattelbaum mit blutüberströmtem Gesicht an ihren Haaren aus dem Haus gezogen und anschließend von einem Mob durch die Stadt getrieben worden sein. An der antisemitischen Hetze beteiligten sich zunehmend auch kirchliche Verbände und Vereinigungen wie auch die Evangelische Kirchengemeinde Apolda selbst. Sie führte „Landeskirchliche Aufbauabende“ ein. Bei diesen Veranstaltungen unterstützten die Pfarrer die nationalsozialistische Hetze mit theologischen Argumenten. Sie sorgten dafür, dass die antisemitische Propaganda auch bei der christlichen Bevölkerung Anklang fand.
Bekanntmachung der Evangelischen Kirchengemeinde Apolda über die Ausstellung von „Ariernachweisen“, 23. Februar 1935. (Apoldaer Tageblatt)
Mit Beginn des Jahres 1936 benötigten neu aufgenommene Schüler des Reform-Realgymnasiums einen Nachweis über ihre „arische“ Abstammung. Auch im Männergesangsverein Apolda waren von nun an lediglich „Arier“ willkommen.
Auch wirtschaftlich wurde die jüdische Bevölkerung Apoldas zunehmend ausgegrenzt. Vor allem größere Firmen trennten sich von jüdischen Gesellschaftern oder Anteilseignern. Die Rudolph Karstadt AG setzte zum 29. Januar 1936 in ihrer Filiale in Apolda einen neuen Geschäftsführer ein und begründete das mit der „reinen arischen Grundlage“ des Unternehmens.
Werbung des Geschäftes „Heimchen“ in Apolda als „arisches familienunternehmen“, 27. September 1935. (Apoldaer Tageblatt)
Der Textilhandel Fried und Alsberg wurde 1937 zwangsverkauft. Fritz Cahn, der jüdische Filialleiter, verlor seine Existenzgrundlage. Der Viehhändler Lothar Braunschild wurde im März 1937 als angeblicher „Berufsverbrecher“ in das KZ Dachau deportiert. Angeblicher Grund hierfür war der Verkauf von Pferden an Franzosen und Belgier. Kurze Zeit später wurde die Firma Gerhard Holzmann aus dem Handelsregister gestrichen. Im Laufe des Jahres 1937 kam auch das Ende für das jüdische Kaufhaus Rosewitz. Am 4. November verschwand es aus dem Handelsregister, ehe es im Januar 1938 mit dem Vermerk „Arisches Geschäft“ unter dem Namen Hustedt wieder auftauchte.
Ein Betrieb nach dem anderen verschwand aus dem Handelsregister. Jüdisches Leben verschwand mehr und mehr aus dem Alltag.
Bericht des Apoldaer Tageblatts über die Sperrung des Stadtbades für jüdische Gäste, 12. August 1935. (Apoldaer Tageblatt)
Die Ereignisse im November 1938
Mit den Familien Rechtmann (Julius bzw. Judka, Brucha und Margot) und Piper (Mendel, Adele und Helene) sowie einer Einzelperson (Ryfka Szajnthal) wurden Ende Oktober 1938 im Rahmen der sogenannten Polenaktion mindestens sieben Jüdinnen und Juden aus Apolda nach Polen abgeschoben.
Wie überall im Reich veranstaltete die NSDAP auch in Apolda am Abend des 9. November 1938 Gedenkveranstaltungen für die als „Märtyrer der Bewegung“ bezeichneten Nationalsozialisten, die beim Hitler-Ludendorff-Putsch am 9. November 1923 in München ums Leben gekommen waren. Die „Helden-Gedächtnisfeier“ der NSDAP Apolda fand im Bürgerverein statt. Die Namen der toten „Märtyrer“ wurden vorgelesen und mit Trauermusik aus Wagners „Götterdämmerung“ geehrt. Das Apoldaer Tageblatt titelte: „Und ihr habt doch gesiegt!“. Während der Veranstaltung muss von vorgesetzten Parteidienststellen der Befehl zum Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung gekommen sein. Trupps von SA-Leuten der SA-Brigade 42 aus Jena unter SA-Oberführer Reinhard Börner und Standartenführer Rudolf Melzer sowie Angehörige der SS zogen im Anschluss an die „Heldenfeier“ durch die Innenstadt Apoldas und warfen Fensterscheiben jüdischer Einwohner ein, und zwar bei der Familie Prager in der Sandgasse 8 (heute Bernhard-Prager-Gasse), der Familie Fleischmann in der Bernhardstraße 34 und bei der Familie Krisch in der Johannisgasse 9.
Ein weiterer Vorfall ereignete sich auf dem Wohn- und Geschäftsgrundstück der Familien Braunschild und Fleischmann. SA-Männer drangen in den Hof ein und zerrten einen Leiterwagen auf die Straße. Sie steckten ihn in Brand und verboten der ortsansässigen Feuerwehr, den Brand zu löschen. Verhaftet wurde hier niemand, denn die beiden Männer der Familien befanden sich bereits im KZ Dachau.
Besonders schlimm wütete der Mob im Haus des Viehhändlers Hofmann. Augenzeuge Paul Weilepp beschrieb Jahrzehnte später, was er sah:
„Am Nachmittag gingen mehrere Männer zum Altwarenhändler Richter und errichteten quer über die Bernhardstraße eine meterhohe Barrikade aus Schrotteilen. Keiner der Bewohner hatte eine Erklärung dafür. In der Nacht riss uns dann großer Lärm aus dem Schlaf. Kommandos und Rufe erschallten. Durch das Fenster sahen wir Männer in SA-Uniform mit einer Hakenkreuzfahne. Sie schrien: 'Fenster zu, es wird scharf geschossen!' Dann hörten wir nur noch durch Geräusche, was sich auf der Straße abspielte.
Männerstimmen brüllten: 'Die Judenschweine sind in ihrem Haus und haben sich verkrochen!' Dann klirrten Fensterscheiben, wurden Türen eingeschlagen. Nach etwa eineinhalb Stunden war der Spuk beendet. Am nächsten Tag sahen wir das Ausmaß der Verwüstung. Frau Hofmann zeigte uns ihre zerstörte Wohnungseinrichtung. Auf dem nussbaumfarbenen Wohnzimmerschrank hatte man mit Ehrendolchen der SA Zielwerfen veranstaltet. Die gesamte Wohnung war total verwüstet.
(Paul Weilepp: Ein Augenzeuge berichtet, in: DAS VOLK, 5.11.1988)
Den 70-jährigen Benjamin Hofmann warfen die Angreifer die Treppe herunter. Er starb wenige Monate später an den Folgen seiner Verletzungen.
Zwölf jüdische Männer wurden in der Nacht bzw. am nächsten Morgen in „Schutzhaft“ genommen und wenig später in das KZ Buchenwald überstellt, darunter drei Söhne von Benjamin Hofmann. Das Apoldaer Tageblatt meldete am 10. November lediglich die Verhaftung von zehn Juden. Dies korrigierte es am nächsten Tag und bezeichnete die Festgenommenen als „besonders übelbeleumundete Juden“.
In den Tagen nach dem Pogrom ging die antisemitische Hetze weiter. Der stellvertretende Stadtratsvorsitzende und NSDAP-Funktionär Ernst Scheibe, zugleich Mitglied des von den „Deutschen Christen“ dominierten Vorstands der evangelischen Kirchengemeinde, wandte sich wenige Tage nach dem Pogrom in einer Rede gegen jede Art von „Gefühlsduselei“ – eine im Nationalsozialismus übliche Bezeichnung, um Mitleid mit den NS-Opfern verächtlich zu machen. Im Apoldaer Tageblatt wurde er mit den Worten zitiert: „Wir haben die Pflicht, etwa noch vorhandene Judenfreunde in die Schranken zu verweisen, denn hat sich je ein Jude darum gekümmert, ob ein Deutscher zu leben hat?“ (Apoldaer Tageblatt, 24.11.1938).
Folgen
Mit dem Geschäftsverbot 1938 wurde den Juden jegliche Möglichkeit des Handels genommen. Die letzten übriggebliebenen Geschäfte jüdischer Eigentümer:innen wurden Ende 1938/Anfang 1939 endgültig aus dem Handelsregister gelöscht und geschlossen oder von nichtjüdischen Deutschen übernommen.
Die meisten in das KZ Buchenwald eingewiesenen Apoldaer Juden wurden bis Weihnachten 1938 wieder entlassen. Mehrere emigrierten in den folgenden Monaten, unter anderem die drei Söhne des Viehhändlers Hofmann. Wer mittellos war, hatte jedoch kaum eine Möglichkeit, an die begehrten teuren Visa für die Ausreise ins Ausland zu kommen.
Zu denen, die nicht bis Weihnachten 1938 aus dem KZ Buchenwald entlassen wurden, gehörte der 28-jährige Max Rosenthal. Er konnte das Lager erst im April 1939 verlassen. Am 10. Mai 1942 wurde er zusammen mit mindestens 13 weiteren jüdischen Frauen und Männern über Weimar in das Ghetto Belzyce im besetzten Polen deportiert. Fast alle starben dort oder in den Vernichtungslagern.
Die letzten Apoldaer Jüdinnen und Juden mussten die Stadt im September 1942 verlassen. Mindestens sieben ältere Frauen und Männer wurden am 10. September 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert.
Biographien
Bernhard Prager
Der Sohn des jüdischen Händlers Salomon Prager kam am 29. Juni 1888 im hessischen Wenings zur Welt. Da Geschwister des Vaters bereits länger in Apolda ansässig waren, zog die gesamte Familie in das Haus an der Sandgasse 8. Der ausgebildete Kaufmann zog mit 26 Jahren als Soldat in den Ersten Weltkrieg. Er kehrte mit einer schweren Kopfverletzung zurück und hatte von nun an eine Silberplatte in seinem Kopf. Als Ehrung für seine Tapferkeit erhielt er das Eiserne Kreuz 2. Klasse.
Hochzeit von Bernhard und Gertrud Prager, Dezember 1919.
(Sammlung Peter Franz)
Im Dezember 1919 vermählte sich Bernhard Prager mit seiner Frau Gertrud. Noch vor dem Tode seines Vaters riss er 1925 das Haus komplett ab und baute es neu auf. Zielstrebig führte er die Fellhandlung seines Vaters weiter und dehnte sie mit dem Handel von Fleischereinebenprodukten aus.
Nach der Machtübernahme der NSDAP verschlechterten sich die Lebensgrundlagen der Familie Prager zusehends. In der Nacht auf den 10. November 1938 wurden die Fenster ihres Wohn- und Geschäftshauses mit Steinen eingeworfen. Doch auch nach dem Pogrom glaubte Bernhard Prager an eine Zukunft in Apolda. Als jüdisches Leben schon weitestgehend eingeschränkt worden war, lief er noch mit seinem Eisernen Kreuz durch die Straßen Apoldas, in der Hoffnung, man könnte den Deutschen jüdischen Glaubens nicht verstoßen. Doch auch seine Familie wurde deportiert. Sein Sohn Heinz wurde am 15. Januar 1943 in Auschwitz ermordet. Bernhard und Gertrud Prager deportierte die Gestapo im September 1942 in das Ghetto Theresienstadt. Dort starb Bernhard Prager am 26. September 1942, nur wenige Tage nach der Ankunft. Gertrud Prager überstellte die SS von Theresienstadt noch in das KZ Auschwitz. Dort starb sie vermutlich am 12. Oktober 1944.
Heinz Peller
Heinz Peller wurde am 20. November 1914 in Apolda geboren. Sein Vater Robert war Jude, seine Mutter Anna (geb. Maschke) war Christin. Um die Jahrhundertwende zog Robert Peller nach Apolda, eröffnete ein Zigarrengeschäft und gründete eine Familie, zu der bald drei Söhne gehörten. Der jüngste hieß Heinz. Er erlernte den Kaufmannsberuf und trat danach in das Geschäft ein. Schon 1936 musste das Geschäft an einen „arischen“ Nachfolger billig abgetreten werden.
Im Februar oder März 1942 wurde Heinz Peller von der Gestapo verhaftet. Weil seine „arische“ Geliebte ein Kind von ihm bekam, hatte er als „Mischling 1. Grades“ gegen nationalsozialistische Gesetze verstoßen. Mit der Häftlingsnummer 7492 kam er am 6. März 1942 in das KZ Buchenwald. Dort war er zunächst als Polizeihäftling registriert, wurde aber wenig später auf die Haftkategorie „politisch – Jude“ umgestellt.
Aufnahme-Karteikarte des KZ Buchenwald für Heinz Peller, 6. März 1942. Als Haftgrund ist „Verkehr mit einer Arierin“ angegeben. (Arolsen Archives)
Auf Himmlers Anordnung, die Konzentrationslager im Deutschen Reich „judenfrei“ zu machen, überstellte ihn die SS im Oktober 1942 in einem Transport mit über 400 weiteren Häftlingen in das KZ Auschwitz. Dort musste er im Lager Monowitz bei den Buna-Werken Zwangsarbeit leisten. Doch schon nach wenigen Wochen wurde er als „arbeitsunfähig“ ausgesondert und von einem SS-Angehörigen mit einer Phenolspritze ermordet.
Max Peller (der Bruder von Heinz) als Musikstudent, Mitte der 1930er Jahre. Hein Pellers Bruder Max wurde im September 1943 wie Heinz in das KZ Buchenwald eingewiesen und von dort wenig später in das KZ Auschwitz überstellt. Er starb Anfang Juni 1945, kurz nach der Befreiung im KZ Theresienstadt. (Peter Franz, Jüdische Familien in Apolda, S. 245)
Dr. Rudi Moser
Rudi Moser wurde am 6. April 1898 als Sohn des SPD-Politikers und Gesundheitsexperten Dr. Julius Moses in Berlin geboren. Von 1916 bis 1918 war er Soldat im Ersten Weltkrieg. Danach studierte er und promovierte zum Doktor der Medizin. Über Erfurt führte sein Weg als Vertrauensarzt nach Apolda. Er war ein führender Kopf auf dem Gebiet der Röntgenforschung. Als Arzt war er in Apolda sehr beliebt; mittellose Patient:innen behandelte er oft kostenlos. Zu Beginn der 1930er Jahre heiratete er seine Sprechstundenhilfe Eva Witepski. 1933 wurde ihm die Funktion des Vertrauensarztes entzogen; ab 1935 durfte er nur noch jüdische Patient:innen behandeln.
Im Juli 1938 verfügten die NS-Behörden den Entzug der Zulassung für alle jüdischen Ärzte. Zu diesem Zeitpunkt plante Moser bereits die Emigration aus Deutschland. Noch vor den Novemberpogromen floh er mit seiner Frau über London auf die Philippinen. Dort wurde er ein anerkannter Experte der Röntgenheilkunde. 1952 siedelte er nach Australien über. Von der Bundesrepublik erhielt er als Zeichen der Wiedergutmachung den Titel eines Medizinaldirektors. Mit ehemaligen Apoldaer Patienten und Bekannten hielt er noch lange Kontakt, kehrte nach dem Krieg aber nie nach Apolda zurück. Am 15. April 1979 verstarb Dr. Rudi Moser in Brisbane/Australien.
Dr. Rudi Moser bei der Behandlung junger Patientinnen in Malina, undatiert. (Peter Franz, Jüdische Familien in Apolda, S. 74.)
Justizielle Ahndung
In Apolda kam es lediglich in einem Fall zu einer justiziellen Ahndung von Verbrechen in Zusammenhang mit den Novemberpogromen. Die kleine Strafkammer des Landgerichts Weimar 1948 führte den Prozess. Der Angeklagte war Georg Bayer. Er wurde am 1885 in Apolda geboren, verheiratet und hatte drei Kinder. Laut Anklage habe er im Jahre 1938 eine gehässige Haltung gegenüber Gegnern der NSDAP in Deutschland eingenommen. Bereits seit 1932 war er Mitglied der NSDAP gewesen, ein Jahr später war er der SA beigetreten. Laut Ermittlungen hatte der SA-Truppführer maßgeblichen Einfluss bei den Geschehnissen in der Pogromnacht, u.a. bei der Verwüstung des Grundstücks Hofmann. Das Urteil fiel am 20. Februar 1948. Er wurde zu einem Jahr Internierungslager verurteilt. Außerdem hatte er die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Spuren und Gedenken
1959 wurde erstmals eine Straße in Apolda nach einem Juden benannt: Die „Bernhard-Prager-Gasse“ (früher „Sandgasse“) erinnert seither an den hier vorgestellten Bernhard Prager. In den 2010er Jahren wurde das ehemalige Wohn- und Geschäftshaus des Kaufmannes zu einem Erinnerungsort und Begegnungszentrum umgebaut. Seit 2007 besteht der Verein „Prager-Haus-Apolda e.V.“. Gut 80 Menschen aus Apolda und Umgebung sind in dem Verein tätig. 2009 erwarb der Verein das Haus. Fast zehn Jahre dauerten die Sanierungs- und Umbauarbeiten.
Das Prager-Haus, 2023. (Foto: Marcel Buder)
Der Verein widmet sich der Aufklärung über die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Apolda und ihrer Vernichtung im Nationalsozialismus. Zahlreiche Publikationen dokumentieren die Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung (und auch anderer Minderheiten) zur Zeit des Nationalsozialismus. Erinnerungszeichen befinden sich in der gesamten Stadt. 2008 wurden die ersten Stolpersteine vor dem Prager-Haus verlegt. Heute befinden sich 70 Stolpersteine in Apolda, verteilt über die ganze Stadt. Das Prager-Haus freut sich über jegliche Hilfe für seine Projekte und neue Vereinsmitglieder.
Stolpersteine vor dem Prager-Haus, 2023. (Foto: Marcel Buder)
(Kopie 1)
Quellen und Literatur
Franz, Peter/Wohlfeld, Udo: Der Gang der Erinnerung. Unterdrückung und Widerstand 1933-1935 in der Region Apolda, Apolda 2018.
Franz, Peter: „gesucht 4“. Der gewöhnliche Faschismus. Über die alltägliche Herrschaft der „Nationalsozialisten“ am Beispiel einer Mittelstadt des Deutschen Reiches (Apolda). Eine Chronologie in Jahresscheiben, Teil 1, Weimar 2001.
Raphael, Zeev Heinz: „gesucht 10“. Die Emigration. Der Weg einer jüdischen Familie von Deutschland nach Israel, hrsg. von der Geschichtswerkstatt Weimar-Apolda / Arbeitsgruppe des Vereins Prager-Haus Apolda e.V., Apolda 2015.
Franz, Peter/Wohlfeld, Udo: „gesucht 6“. Jüdische Familien in Apolda. Diffamierung, Ausgrenzung, Entrechtung, Vertreibung, Deportation, Vernichtung, Ungehorsam. Die Apoldaer Judenheit während des Faschismus, Weimar 22008.
Autor: Marcel Buder, Student der Friedrich-Schiller-Universität Jena