Vorgeschichte
Bereits in der Zeit des Landgrafen Hermann I. (1190-1215) sollen Juden in Eisenach gelebt haben, worauf u. a. das Stadtrecht hinweist. Ein Großteil der jüdischen Einwohner:innen lebte im 14. Jahrhundert in der Judengasse (heutige Karlstraße), später in der Löbergasse. Im Pestjahr 1349 wurde die jüdische Bevölkerung aus der Stadt vertrieben.
Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts durften Juden in Eisenach Handel treiben, sich jedoch nicht niederlassen. Erst mit dem „Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Juden“ von 1850, womit bis dahin gültige Bestimmungen für das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach aufgehoben wurden, kam es erneut zur Ansiedelung von Juden, vor allem durch Zuzug aus den Landgemeinden in der Rhön. Zu Beginn der 1860er Jahre gründete sich in Eisenach eine jüdische Gemeinde. Sie hatte zunächst 72 Mitglieder, wuchs dann aber rasch an und erreichte bis 1910 eine Stärke von rund 420 Mitgliedern.
1867 erhielt die jüdische Gemeinde ein abgetrenntes Areal des neuen kommunalen Friedhofs auf dem Wartenberg, den sie als Begräbnisstätte nutzte. Im Januar 1885 weihte die jüdische Gemeinde in der Wörthstraße 26 (heutige Karl-Marx-Straße) eine Synagoge ein. Zur Gemeinde gehörten eine Religionsschule und eine Mikwe, die sich ab 1879 in der Clemensstraße befand. Ihren Lebensunterhalt verdienten die meisten Eisenacher Jüdinnen und Juden im Handels- und Dienstleistungssektor. Von bis zu 20 Geschäften befanden sich allein sieben in der Karlstraße.
1912 wurde Eisenach Sitz des Landesrabbinats des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach. Zu diesem Zeitpunkt befand sich in Eisenach die größte jüdische Gemeinde im Großherzogtum.
Synagoge in der ehemaligen Wörthstraße, um 1900. (Foto: Karl Jagemann, Stadtarchiv Eisenach)
Seit den 1890er Jahren regte sich der Antisemitismus in Eisenach. Mehrer Treffen von antisemitischen Gruppen wurden auf der Wartburg abgehalten, worüber auch die „Eisenacher Tageszeitung“ berichtete. Auch während der Weimarer Republik kam es zu antisemitischen Übergriffen. So wurden die Fenster der Synagoge eingeworfen und Wände beschmiert; Täter waren vermutlich Gymnasiasten.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verschärften sich die antisemitischen Angriffe auch in Eisenach. Als besonderer Scharfmacher tat sich NSDAP-Kreisleiter Hermann Köhler hervor. Am 3. April 1933 berichtet die Lokalzeitung über einen missglückten Sprengstoffanschlag auf die Synagoge, wobei die Täter unerkannt entkommen seien. Im September fordert der Stadtrat die Eisenacher Bevölkerung dazu auf, nicht mehr in jüdischen Geschäften einzukaufen.
Viele Jüdinnen und Juden verließen in den folgenden Jahren die Stadt und wanderten in die USA oder Palästina aus. Im Mai 1939 lebten noch 215 Juden in der Wartburgstadt.
Auftritt von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß auf dem Marktplatz von Eisenach, 12. Oktober 1935. (Staatsarchiv Weimar)
Die Ereignisse im November 1938
Schon in der Nacht vom 8. auf den 9. November, also früher als in den meisten anderen Thüringer Städten, kam es in Eisennach zu antisemitischen Ausschreitungen. Nationalsozialisten protestierten vor Geschäften jüdischer Eigentümer:innen und brachten Hetzplakate und Parolen an den Schaufenstern an. Am Nachmittag des 9. November wurde ein erstes Geschäft zerstört und geplündert.
Am Abend des 9. November drangen Mitglieder der Hitlerjugend (HJ) in die Synagoge ein und warfen Kissen, Gebetbücher und andere religiöse Gegenstände auf die Straße und zerstörten zusammen mit SA-Angehörigen das Mobiliar. Gegen 22:30 Uhr wurde die Synagoge in Brand gesteckt. Nach mehreren Aussagen achtete die Feuerwehr lediglich darauf, dass der Brand nicht auf andere Gebäude übergriff. Nach dem Brand blieben nur noch Mauerreste übrig.
Brand der Synagoge, 9. November 1938. (Fotos: Franz Hahn, Stadtarchiv Eisenach)
Ausgebrannte Synagoge, Ansicht von Nordwesten, November 1938. Nach dem Brand der Synagoge sind nur noch die Grundmauern erhalten geblieben. (Stadtarchiv Eisenach)
Ebenfalls in der Nacht auf den 10. November drangen in Zivil gekleidete SA-Männer in jüdische Geschäfte und Wohnungen ein und zertrümmerten die Inneneinrichtungen. Die Polizei griff nicht ein. Ihre Befehle erhielten die Täter von Kreisleiter Köhler und dem SA-Oberführer Ernst Frenzel, der zugleich Reichstagsabgeordneter und Mitglied des Stadtrates war. Die jüdischen Bewohner:innen wurden anschließend in die Turnhalle in der Goethestraße gebracht. Einigen jüdischen Familien entgingen der Verhaftung, indem sie ihre Wohnungen rechtzeitig verlassen und sich versteckt hatten.
Der Oberstaatsanwalt in Eisennach berichtete noch am 10. November seinem Vorgesetzten bei der Generalstaatsanwaltschaft in Jena:
„Nachdem schon gestern, am Mittwoch, den 9.11.38 auf dem Franz-Seldteplatz ein jüdischer Laden zerstört worden war, wobei es auch zu Plünderungen kam, wurden in der letzten Nacht sämtliche jüdischen Geschäfte in Eisennach demoliert. Schaufensterscheiben und Fensterscheiben wurden eingeworfen und eingeschlagen; die Einrichtungsgegenstände wurden zerstört. […] Der Umfang des bisher angerichteten Schadens ist z.Zt. noch nicht zu übersehen. Weiter wurde in Eisenach die Synagoge in Brand gesetzt. Sie ist völlig ausgebrannt. Nur die Umfassungsmauern stehen noch. […]
Schon in der Nacht zum Mittwoch war es hier in Eisenach zu Demonstrationen gekommen. An den jüdischen Geschäften waren rote Plakate aufgeklebt mit der Aufschrift: ‚Wie lange noch? Wieder brachte jüdische Blutgier einen braven Deutschen zur Strecke. Der polnische Jude Grynspan in Paris schoß Legationsrat vom Rath nieder. Nun aber Schluß mit unserer Geduld. Auch in diesem Hause genießt ein Angehöriger jener verbrecherischen Rasse noch Gastrecht. Juden raus!‘“
(Bericht des Oberstaatsanwalts in Eisennach an die Generalstaatsanwaltschaft in Jena, 10. November 1938, Thür. Hauptstaatsarchiv Weimar)
Während die in der Nacht festgenommenen und in die Turnhalle in der Goethestraße gebrachten Frauen und Kinder bald wieder freigelassen wurden, ließ die Polizei 112 männliche Juden in das KZ Buchenwald deportieren. Mindestens ein Jude aus Eisenach überlebte die Deportation nach Buchenwald nicht: Der 1886 geborene Kaufmann Albert Baer starb am 21. November 1938 in Buchenwald.
Todesmeldung für Albert Baer, 21. November 1938. Albert Baer war am 10. November 1938 aus Eisenach nach Buchenwald deportiert worden. (Arolsen Archives)
Häftlingspersonalkarte des KZ Buchenwald für Dr. Robert Stern, November 1938. Robert Stern wurde am 22. Juli 1883 in Geisa geboren. Nach einem Jura-Studium ließ er sich in Eisenach nieder und unterhielt ab 1912 zunächst in der Karlstraße 48/50, später im Haus Markt 5 eine Kanzlei. Nach den Pogromen in November 1938 wurde er in das KZ Buchenwald eingewiesen – die SS vermerkte dies als „Judenaktion“ auf seinen Lagerdokumenten. Am 9. Dezember entließ ihn die SS und er kehrte nach Eisenach zurück. 1942 musste er sein Haus in Eisenach verkaufen und wurde am 9. Mai 1942 zusammen mit seiner Frau, Elly Stern (1899-1942), ins Ghetto Bełżyce deportiert, das er nicht überlebte. (Arolsen Archives)
Folgen
Die meisten in das KZ Buchenwald deportierten Eisenacher Juden wurden bis zum Jahresende wieder entlassen.
Die Ruine der Synagoge wurde im Januar 1939 gesprengt und das Grundstück ging in den Besitz der Stadt über.
Sprengung der Ruine der Synagoge, Januar 1939. (Stadtarchiv Eisenach)
Die in Eisenach verbliebenden jüdischen Bürger:innen mussten Ende 1939 in sogenannte „Judenhäuser“ ziehen, die sich u.a. in der Georgenstraße 35/36, Gartenstraße 2a, Karthäuserstr. 48 und an der Rennbahn 28 befanden. Im November 1941 machte der Eisenacher Kripochef Meyer eine Meldung über die Zwangsverlegung an die Gestapo Weimar:
„… Die Zusammenlegung der Juden ist in Eisenach weiter durchgeführt worden. Anordnungen für noch engere Zusammenlegung sind getroffen. Die Juden haben verschiedentlich durchblicken lassen, daß derartige Maßnahmen in anderen Städten nicht so streng durchgeführt würden wie in Eisenach.“
(https://jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/e-g/548-eisenach-thueringen)
Im Mai 1942 begann auch in Eisenach die Deportation von jüdischen Einwohner:innen in den Osten. Die für die Deportation in das Ghetto Bełżyce vorgesehenen Jüdinnen und Juden, insgesamt 59 Personen, mussten sich in den frühen Morgenstunden des 9. Mai 1942 an einem Sammelpunkt auf dem Gelände der Villa des jüdischen Kaufmanns Max Klebe in der Goethestraße 48 einfinden (Max Klebe starb 1944 im Ghetto Theresienstadt). Von dort aus wurden die sie zum Eisenacher Bahnhof getrieben. Um 11 Uhr verließ der Zug Eisenach mit Ziel Weimar. Von dort aus wurden die Jüdinnen und Juden am Folgetag in das Ghetto Bełżycedeportiert. Fast alle von ihnen starben dort oder in Vernichtungslagern.
Ein Eintrag aus der Chronik der Stadt Eisenach berichtet über den 9. Mai 1942:
„Nach einem ihnen wenige Tage vorher bekanntgegebenen Bescheid wurden die unter 65 Jahre alten Juden […] auf dem Grundstück Goethestraße 48 zusammenberufen, um von da ihren Abtransport anzutreten. […] Den zu evakuierenden Juden wurde gestattet, je 50 kg Expreßgut nach Weimar zu schicken und Handgepäck mitzunehmen. Um 11.06 Uhr führte sie der Zug nach Weimar. Hier wurden sie für einen Tag in einer Halle untergebracht, um am nächsten Tag mit unbekanntem Ziel ostwärts weitertransportiert zu werden.“
(https://jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/e-g/548-eisenach-thueringe)
Eisenach ist die einzige Stadt in Thüringen, aus der Fotos überliefert sind, die den Marsch der zu Deportierenden zum Bahnhof und das Einsteigen in die Waggons auf dem Bahnsteig zeigen. Der Fotograf Theodor Harder, der in der Karlsstraße 6 ein Fotoatelier unterhielt, war von der Stadt oder der Polizei beauftragt worden, das Geschehen zu dokumentieren. Es ist eine Serie von 20 Schwarzweiß-Aufnahmen erhalten geblieben.
Deportation der Eisenacher Juden durch die Stadt zum Bahnhof, 9. Mai 1942. Die Menschen mussten den Weg von der Goethestraße 48 bis zum Bahnhof zu Fuß zurücklegen. Dabei wurden sie von Beamten der örtlichen Ordnungspolizei begleitet. Passanten standen während des Transports am Straßenrand und beobachteten den Zug. (Foto: Theodor Harder, Stadtarchiv Eisenach)
Deportation der Eisenacher Juden mit einem Personenzug vom Bahnhof Eisenach nach Weimar, 9. Mai 1942. Die Fahrtkarte für die 3. Klasse des Zuges nach Weimar mussten die Menschen selbst bezahlen. In Weimar wurden sie in der Viehaktionshalle festgehalten, bevor sie anschließend in das Ghetto in Bełżyce transportiert wurden. (Foto: Theodor Harder, Stadtarchiv Eisenach)
Nach der ersten Deportation verblieben noch 72 Jüdinnen und Juden in Eisenach, die größtenteils älter als 65 Jahre waren. Im September 1942 wurden mehrere Dutzend ältere Jüdinnen und Juden in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Kaum jemand von ihnen hat überlebt. Das gilt auch für die letzten in Eisenach verbliebenen Jüdinnen und Juden, die am 1. März 1943 in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert wurden.
Mehr als 200 jüdische Bürger:innen der Wartburgstadt wurden Opfer der Shoah.
Biographien
Familie Kirchheimer
Frieda Marx, geboren am 7. Juli 1894 in Mainz, machte nach ihrer Schulausbildung eine Lehre als Schneidermeisterin und zog im Dezember 1919 nach Erfurt. Dort lernte sie Siegfried Kirchheimer. Die beiden heirateten und zogen nach Eisenach, wo sie in der Goethestraße 25a ein Schuhgeschäft eröffneten. Über dem Geschäft befand sich ihre Wohnung. Im Jahr 1920 kam ihre erste Tochter Ingeborg zur Welt, fünf Jahre später ihre Tochter Ruth.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden die Fensterscheiben des Geschäfts mit roter Farbe beschmiert. Siegfried Kirchheimer versuchte sich zu verstecken, um der Verhaftung zu entgehen, wurde jedoch gefasst und ins KZ Buchenwald gebracht. Frieda und ihre Kinder flüchteten nach Erfurt und kamen eine Woche später zurück. Sie fanden eine komplett verwüstete Wohnung vor. Das Schuhgeschäft musste das Ehepaar Kirchheimer wenige Wochen später aufgeben; es wurde „arisiert“.
Angeblich „freiwillige“ Abmeldung des Schuhwarenhandels von Siegfried Kichheimer, 1. Dezember 1938. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Siegfried Kichheimer als Häftling im KZ Buchenwald. (Stadtarchiv Eisenach)
Am 29. Januar 1939 kehrte Siegfried Kirchheimer aus Buchenwald zurück. Im März 1939 gelang Ingeborg Kirchheimer die Ausreise nach England, da sie dort eine Stelle als Köchin gefunden hatte. Frieda, Siegfried und Ruth Kirchheimer gelang die Ausreise nicht; Grund dafür waren die zu hohen Kosten. Im Juli 1939 wurde Ruth durch ihre Tante nach Frankreich geschmuggelt und besuchte in Nizza eine Klosterschule.
1941 wurden Frieda und Siegfried Kirchheimer genötigt, in ein „Judenhaus“ am heutigen Theaterplatz zu ziehen. Am 9./10. Mai 1942 wurden beide über Weimar in das Ghetto Bełżyce deportiert. Dort verlieren sich ihre Spuren.
Die zur Deportation nach Bełżyce bestimmten Jüdinnen und Juden werden von der Villa Klebe in der Goethestraße zum Bahnhof getrieben, 9. Mai 1942. Am linken Bildrand mit dem Blick zur Kamera Frieda Kirchheimer. (Foto: Theodor Harder, Stadtarchiv Eisenach)
Frieda und Siegfried Kirchheimers Tochter Ruth überlebte den Krieg in Nizza, konvertierte zum Christentum und wurde unter dem Namen Marie Therese Ordensschwester. Sie arbeitete 20 Jahre in einer Mission in Kamerun und starb 2003. Ingeborg Kirchheimer heiratete 1941 in London, bekam drei Kinder und starb 1987.
Dr. Josef Wiesen
Dr. Josef Wiesen wurde am 25. Februar 1866 in Ittebe (Österreich-Ungarn, heutiges Serbien) geboren. Er besuchte mehrere Schulen und anschließend das Israelitische Lehrerseminar in Kassel. Danach war er als Lehrer an der jüdischen Schule in Moringen (Solling) tätig. Er studierte an verschiedenen Universitäten und promovierte 1892 zum Dr. phil.
Kaiser Franz Joseph setzte Dr. Wiesen als Landesrabbiner von Böhmen in Böhmisch Leipa ein und lud ihn in den kommenden Jahren oft zur Audienz in seine Sommerresidenz ein. Die Residenz lag in Terezín, wo später von den Nationalsozialisten das Ghetto Theresienstadt eingerichtet wurde, in dem Josef Wiesen ab 1942 selbst inhaftiert war.
1898 wurde Josef Wiesen Landesrabbiner im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach; sein Dienstsitz war zunächst Stadtlengsfeld. 1911/12 zog er mit seinen drei Kindern (seine Frau Ida war 1905 gestorben) nach Eisenach um, blieb aber Landesrabbiner. Während des Ersten Weltkrieges besuchte Dr. Wiesen Kriegsgefangenenlager, um jüdische Kriegsgefangene aus Polen und Russland zu unterstützen.
Landrabbiner Dr. Josef Wiesen, undatiert. (Yad Vashem)
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten vertrat Dr. Wiesen weiterhin die Interessen der Juden in Thüringen, obwohl er seit 1930 im Ruhestand war. In der Nacht vom 9. auf den 10. November wurde er verhaftet, aber in Weimar wieder freigelassen, bevor der Transport nach Buchenwald ging. Nach seiner Rückkehr stellte er sein Heim Jüdinnen und Juden zur Verfügung, die ihre Wohnung verloren hatten. Nachdem seine zweite Frau Elsa 1941 gestorben war, musste er im Februar 1942 sein Haus innerhalb von zwei Tagen räumen. Am 19. September 1942 ließ ihn die Gestapo in das Ghetto Theresienstadt deportieren, wo er am 15. November 1942 starb.
Von der Familie Wiesen blieben nach der Deportation von Josef Wiesen lediglich zwei Personen in Eisenach: seine Schwiegertochter Irma Wiesen und deren Sohn Kurt Peter Wiesen. Beide wurden am 1. März 1934 nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Von Josef Wiesens vier Kindern (in zweiter Ehe hatte er noch einen Sohn, der 1937 in die USA emigrierte) überlebten drei; seine Tochter Hertha, geb. 1894 in Stadtlengsfeld, wurde 1942 in Riga ermordet.
Justizielle Ahndung
Die Zerstörung der Synagoge und der Geschäfte sowie Wohnungen von jüdischen Einwohner:innen in Eisenach und deren Misshandlung und Verschleppung ins KZ Buchenwald wurden nach 1945 vermutlich strafrechtlich nicht geahndet.
Spuren und Gedenken
1947 wurde ein Mahnmal am Standort der ehemaligen Synagoge errichtet. Das Mahnmal besteht aus in den Boden eingelassenen weißen Platten und zeichnet den Grundriss des einstigen Gebäudes nach. An der Spitze ist ein Davidstern angebracht. Die dazugehörige Inschrift lautet: „An dieser Stelle verbrannten und verwüsteten am 9. November 1938 Bubenhände die Synagoge der jüdischen Religionsgemeinschaft zu Eisenach.“ Mit dem Begriff „Bubenhände“ waren vermutlich die Angehörigen der Hitlerjugend gemeint, welche die Synagoge verwüstet hatten, bevor sie von SA-Männern angezündet wurde.
Ende der 1990er Jahre wurde die alte Gedenktafel ersetzt mit dem abgeänderten Wortlaut: „An diesem Ort stand die Synagoge der jüdischen Religionsgemeinschaft Eisenach. Sie würde am 9. November 1938 von nationalsozialistischen Horden verwüstet und niedergebrannt.“
Angehörige der jüdischen Gemeinde mit Oberbürgermeister Fischer vor der Mahntafel bei der Einweihung des Gedenkortes, 1947. (Foto: Harder-Trunk, Stadtarchiv Eisenach)
Mahnmal am ehemaligen Standort der Synagoge, 2008. (Foto: Metilsteiner, wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Seit 1992 hängt in der Eingangshalle des Eisenacher Bahnhofs eine Gedenktafel, die an die Deportationen von 1942 erinnert: „Zum Gedenken an den Leidensweg der jüdischen Bürgerinnen und Bürger der Stadt Eisenach, deren Deportation in die nationalsozialistischen Vernichtungslager hier ihren Anfang nahm. Die Stadt Eisenach.“
Des Weiteren erinnern zwei Straßen an die jüdischen Ärzte Paul Oppenheim und Siegfried Wolff. Paul Oppenheim (geb. 1891) hatte sich in der Weimarer Republik als Sozialdemokrat im republikanischen Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold engagiert. Im Sommer 1933 nahm er sich unter dem Druck der Nationalsozialisten das Leben. Siegfried Wolff (geb. 1888) war Direktor einer privaten Kinderklinik in Eisenach und wurde 1944 von Westerbork nach Auschwitz deportiert und ermordet. Die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Klinikums Eisenach ist nach Siegfried Wolff benannt.
Seit 2009 ist die Stadt Eisenach an dem Stolperstein-Projekt beteiligt; es wurden seitdem mehr als 120 Stolpersteine verlegt (Stand 2022).
Stolperstein für Leo Frank in der Querstraße/Ecke Uferstraße. Leo Frank (geb. 1881) wurde nach den Pogromen im November 1938 ins KZ Buchenwald transportiert. Nach seiner Entlassung kehrte er nach Eisenach zurück. Im Dezember 1941 verhaftete ihn die Polizei und verschleppte ihn erneut nach Buchenwald. Am 12. März 1942 transportierte ihn die SS nach Bernburg, wo er ermordet wurde. (Wikipedia)
2009 verlegte Stolpersteine für Frieda Kirchheimer und Siegfried Kirchheimer in der Goethestraße. (stolperstein-guide.de)
Seit 2019 erinnert in Eisenach eine Installation des Leipziger Künstlers Marc Pethran an das „Entjudungsinstitut“, das 1939 von den evangelischen Landeskirchen gegründet wurde.
Im Jahr 2022 wurde der Straßenabschnitt an der alten Synagoge von Wilhelm-Rinkens-Straße in Synagogenstraße umbenannt.
Installation des Leipziger Künstlers Marc Pethran zum „Entjundungsinstitut“, 2019. (Foto: Sascha Wilms, epd)
Exkurs: Das Eisenacher „Entjudungsinstitut“
Am 6. Mai 1939 gründeten elf evangelische Landeskirchen mit einem großen Festakt auf der Wartburg das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“. Der Name wurde kurz darauf geändert und das Wort „Beseitigung“ entfernt. Der Geschäftssitz des Instituts lag in Eisenach. Hierfür stellte der Thüringer Landeskirchenrat kostenfrei Räume im Predigerseminar in der Bornstraße 11 zur Verfügung. Im Jahr 1940 zog das Institut in das Gebäude am Reuterweg 2 ein. Leiter des „Entjudungsinstituts“ war der Begründer der „Deutschen Christen“ Siegfried Leffler. Die wissenschaftliche Leitung übernahm Walter Grundmann. Grundmann war Professor für völkische Theologie und Neues Testament an der Universität Jena.
Predigerseminar Eisenach in der Bornstraße 11, 1939/40 Sitz des „Entjudungsinstitutes“, undatiert. (dortmund.deutscher-koordinierungsrat.de)
Die Arbeit des Institutes zielte darauf ab, die protestantischen Kirchen im Sinne eines deutsch-völkischen Christentums umzuformen. Die Forschungsarbeiten sollten beweisen, dass das Christentum kein „Judentum für Nichtjuden“ sei und waren vorab mit einem Ergebnis festgelegt. Die Arbeiten sollten die „artgerechte“ Religion für das deutsche Volk darstellen. Ein erstes Ergebnis lag 1940 mit einer „entjudeten“ Bibel vor - der „Botschaft Gottes“, deren erste Auflage rasch ausverkauft war. Hierbei wurde das Alte Testament als jüdische Schrift aus der Bibel entfernt und das Neue Testament auf das Bild eines „arischen Jesus“ reduziert.
Nach 1945 blieb eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des „Entjudungsinstitutes“ über Jahrzehnte aus. Sein früherer wissenschaftlicher Leiter Prof. Walter Grundmann hatte in der DDR als Theologe ein erhebliches Ansehen. 1954 wurde er Rektor des Eisenacher Katechetenseminars und war damit erneut verantwortlich für die theologische Ausbildung der Pfarrer in Thüringen. Hochgeehrt starb er 1976 im Alter von 70 Jahren in Eisenach. Erst ab Ende der 1980er Jahren forschten und veröffentlichten vereinzelt Wissenschaftler zu diesem Thema. 2010 veröffentlichte Oliver Arnhold eine zweibändige Gesamtdarstellung zur Entstehung, Arbeit und Wirkung des Instituts. Sie löste auch in Eisenach öffentliche Debatten über die Geschichte des Institutes aus. Am 6. Mai 2019 fand die Enthüllung des Mahnmals zum „Entjudungsinstitut“ statt. Das Mahnmal steht in unmittelbarer Nähe zur Bornstraße 11, wo das Institut seine erste Geschäftsstelle hatte.
„Die Entjudung des religiösen Lebens als Aufgabe deutscher Theologie und Kirche.“ Titelblatt einer Publikation von Walter Grundmann aus dem Jahr 1939.
(Kopie 1)
Quellen und Literatur
Brunner, Reinhold: Von der Judengasse zur Karlstraße - Jüdisches Leben in Eisenach, Weimar 2003.
Brunner, Reinhold (Hrsg.): Stolpersteine in Eisenach - Erinnerungen an das jüdische Leben und Sterben in der Wartburgstadt, Eisenach 2012.
Birkenmeier, Jochen/Weise, Michael (Hrsg.): Erforschung und Beseitigung. Das kirchliche „Entjudungsinstitut“, 3., durchgesehene und erweiterte Auflage, Stiftung Lutherhaus Eisenach, 2022.
Arnhold, Oliver: „Entjudung“ – Kirche im Abgrund. Die Thüringer Kirchenbewegung Deutsche Christen 1928-1939 und das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ 1939-1945 (Studien zu Kirche und Israel, Bd. 25/1 und 25/2), Berlin 2010
Stadt Eisenach (Hrsg.): Der Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung in Eisenach 1938 - Eine Quellensammlung. Text und Zusammenstellung: Dr. Reinhold Brunner, Eisenach 1998.
Links
Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum, Ortseintrag zu Eisenach: www.jüdische-gemeinden.de
Alemannia Judaica, Ortseintrag zu Eisenach: https://www.alemannia-judaica.de/eisenach_synagoge.htm
Christoph Kreutzmüller: Die Deportation der Juden aus Eisenach am 9.5.1941, Reihe #lastseen Bildatlas: https://atlas.lastseen.org/image/eisenach/118
Autor: Jan-Lucca Bremmes, Studierender an der Friedrich-Schiller-Universität Jena