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Die Synagoge zu Arnstadt – „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“

Aus heutiger Perspektive ist die Zuversicht des Sommers 1913 kaum mehr vorstellbar. Die Moderne hatte soeben begonnen. Strawinskys Le Sacre du Printemps wird in Paris uraufgeführt, Adolf Loos erklärt in Wien das Ornament zum Verbrechen, Malewitsch malt in Moskau das Schwarze Quadrat. Niemand ahnte, dass ein Weltkrieg vor der Tür stand.  

Kultstätte der Menschheit, Zierde der Stadt 
Auch für die wachsende jüdische Gemeinde markiert 1913 einen Aufbruch. Am 26. September weiht die Gemeinde unter großer Anteilnahme von Stadt und Fürstentum ihre neue Synagoge feierlich ein. Max Lederman, der Vorsteher der Gemeinde, begrüßte die Gäste und Honoratioren: „Wenn wir in dies Gotteshaus jetzt eintreten, leuchtet uns entgegen unserer Religion vornehmste Devise: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ In seiner Festpredigt ergänzte Landrabbiner Fränkel: „Unser Gotteshaus ist eine Kultstätte der Menschheit, eine Zierde der Stadt. Die Liebe zum Vaterhaus und engeren und weiteren Vaterland sei hier immer verkündet.“ Die Gottesdienste wurden vorher im Haus des Viehhändlers Julius Jonas in der Ritterstraße 7 gefeiert oder in einem angemieteten Saal. Bereits 1904 hatte Adolf Mendel das Grundstück gegenüber vom Alten Friedhof und in Sichtachse zur Himmelfahrtskirche gekauft. Die Baukosten wurden zu diesem Zeitpunkt auf 23.000 Mark geschätzt. Erst 1912 hatte die Gemeinde genügend Geld für den Bau beisammen. Da die Krappgartenstraße noch nicht ausgebaut war, hatte die Gemeinde mit dem Bauerlaubnisgesuch die Bitte an den Magistrat gerichtet, ihr die Anliegerbeiträge zu den Straßenbaulasten zu erlassen. Die Hälfte der Ausbaubeiträge in Höhe von 660 Mark wurden der Gemeinde erlassen, weil „zu den Kirchenlasten jetzt alle Einwohner der Stadt beitragen, also auch die Juden, Katholiken und Dissidenten beitragen müßten. Es biete sich hierbei eine Gelegenheit, den Juden etwas zu Gute kommen zu lassen.“ Als Baumeister wurde der junge, aber bereits renommierte Architekt Martin Schwarz (1885–1945) gewonnen. Dieser war aus Darmstadt nach Arnstadt geholt worden, um die Türme der Liebfrauenkirche zu sanieren und einen Anbau an die Neue Kirche zu realisieren. Die Synagoge sollte sein erster eigenständiger Bau in Arnstadt werden. Dieses kleine Gebäude hatte einen großen Betsaal für 60 Männer und ebenso viele Frauen sowie Gemeinde- und Schulräume. Schwarz verband geschickt Elemente des Jugendstils – Dachreiter, Rundfenster, Zaun – mit den Charakteristika eines Landhauses im Stile der Reformbaukunst. Mit der Betonung werkmäßiger, einfacher Formen und einem frei gegliederten Baukörper, hatte das Bauwerk den Historismus hinter sich gelassen. 
 
Schüsse auf die Synagoge
Im Juli 1914 berichtet das Frankfurter Israelitische Familienblatt: „Während einer Chorprobe wurden mehrere Schüsse auf die Arnstädter Synagoge abgegeben, die die Fenster zertrümmerten und die darunter stehenden Damen mit Glassplittern überschütteten. Der Behörde ist es noch nicht gelungen, den Täter zu finden.“ 
 
Der Jüdische Friedhof zu Arnstadt
1921 erwarb die Gemeinde von der Stadt für 5000 Mark ein Gräberfeld, das an den neuen Friedhof grenzte. Bis dahin wurden die Toten in Plaue beigesetzt. Von 1921 bis 1939 entstanden hier 22 Grabstellen mit 27 Gräbern. Heute steht der Friedhof unter Denkmalschutz und erinnert an die untergegangene jüdische Gemeinde.

Der 9. November 1938
25 Jahre liegen zwischen der Einweihung 1913, die getragen war von jüdischen Hoffnungen, vaterländischen Bekenntnissen und gegenseitigen Wertschätzungen, und der Zerstörung 1938. Die Mitglieder der Gemeinde machten sich schon lange nichts mehr vor. Seit 1933 wurden sie durch Berufsverbote, Ausgrenzung aus dem öffentlichen Leben und Schikanen aller Art täglich gedemütigt. Im Mai und im Oktober 1938 hatte Max Ledermann zwei erwachsene Kinder in Folge einer „Nervenkrise“ und durch Suizid verloren. In der Nacht vom 9. auf den 10. November gegen 2 Uhr wurde die Arnstädter Synagoge von der SA in Brand gesetzt. Die männlichen Mitglieder der Gemeinde wurden in Haft genommen und im Rathaus mißhandelt. Die rauchenden Trümmer wurden von der Stadtverwaltung Arnstadt in niederträchtigster Weise als von der jüdischen Gemeinde kostenpflichtig zu behebende Verunreinigung des Stadtbildes behandelt.

Schlimmer als der Hass, dem die Juden ausgesetzt sind, ist die Verachtung. Die meisten Menschen verachten gerne. Je tiefer sie auf andere herabblicken können, desto höher fühlen sie sich selbst. Diese Verachtung gegen andere stärkt das eigenen Selbstbewußtsein. – Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi, 1935.