Weltlich inspiriert und Teil des städtischen Umfeldes: Die Synagoge als Bauwerk
In wissenschaftlichen Texten zur Arnstädter Synagoge wird betont, dass die Gemeinde mit Martin Schwarz einen nichtjüdischen Architekten beauftragt hatte. Was hier als Einmaligkeit dargestellt wird, hat in der Geschichte des Synagogenbaus jedoch eine lange Tradition und ist das Resultat eines Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende währenden Wechselspiels des gegenseitigen Einflusses von Juden- und Christentum. Eine Synagoge (Altgriechisch für Versammlung) ist das Haus, in dem die Gemeinde zum Gottesdienst und zum Gebet zusammenkommt, dient aber vor allem auch als Lehr- bzw. Schriftstudienort für ihre Mitglieder. Worauf die jiddische Bezeichnung „Schul" verweist. Der Synagogenbau orientiert sich zumeist an der Architektur der Umgebung. Das galt schon für die Antike. Die Synagoge in Kaifeng von 1136 war einem chinesischen Tempel nachempfunden. Die Synagogen im mittelalterlichen Erfurt oder Regensburg wurden im gotischen Stil errichtet. Der Talmud gibt lediglich Hinweise, dass Synagogen Fenster haben müssen und dass sie größer sein sollten als alle anderen Gebäude vor Ort. Letztere Vorschrift konnte in der Diaspora jedoch selten verwirklicht werden. Im Gegenteil – die beständig (auch finanziell) unsichere Situation der jüdischen Gemeinden führte zu unauffälligen oder versteckten Bethäusern und -räumen in umgenutzen (Hinter-) Häusern, Speichern und Scheunen. Prächtiger und repräsentativer wurden Synagogen dort gebaut, wo die Gemeinden darauf hoffen konnten, dass ihre Existenz längerfristig in halbwegs geordneten Bahnen verläuft. Prächtig und repräsentativ bedeutete, dass die Gemeinden selbstbewußt und regelmäßig die besten Baumeister vor Ort oder ihrer Zeit beauftragten. Zum Beispiel in Venedig. Der jüdische Essayist Amos Luzzatto schreibt: „Die Venezianer der Seerepublik hatten die große Fähigkeit, Menschen von überall her bei sich zu integrieren. So auch die Juden.“ So entstanden ab 1397 neun – bis heute erhaltene – Synagogen. Für die größte von ihnen, die Scola Spagnola, wurde die Werkstatt des Barockbaumeisters Baldassere Longhena beauftragt, die auch Santa Maria della Salute, eine der wichtigsten Kirchen Venedigs baute. Mit der zunehmenden Gleichberechtigung des jüdischen Glaubens im 19. Jahrhundert wurden Synagogen europaweit von den besten Architekten ihrer Zeit geplant, um „als Zierde der Stadt“ in die Öffentlichkeit zu strahlen: Die Dresdner Gemeinde beauftragte Gottfried Semper mit ihrer 1840 eingeweihten Synagoge im neoromanischen Stil, damals mit 600 Plätzen die größte Synagoge Deutschlands. Sie befand sich unterhalb der Brühlschen Terrasse. Der renommierte Hannoveraner Architekt Edwin Oppler baute in Breslau 1878 eine neugotische Synagoge nach dem Vorbild des Wormser bzw. Aachener Doms für 2000 Besucher. Oppler war jüdischen Glaubens und verantworte mehrere Synagogen, aber auch einen Kirchenbau. Die Budapester Gemeinde setzte in den 1870er Jahren auf den Wiener Architekten und Star des Jugendstils Otto Kolomann Wagner. Die Synagogen in Aachen und Darmstadt bauten Vater bzw. Sohn Wickop. Der Vater Wilhelm Wickop beteiligte sich erfolgreich am Wettbewerb um den Neubau des Berliner Doms. Bei seinem Sohn Gustav erlangte Martin Schwarz in Darmstadt sein Architekturdiplom.