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Das jüdische Gemeindeleben

Hanna Herzberg als Schülerin, undatiert © Privatbesitz

Eine jüdische Gemeinde gestaltet ihr religiöses Leben eigenständig. Es gibt im Judentum keine übergeordneten Institutionen wie in einer Kirche, die für alle Gemeinden gültige Vorgaben machen. Jede Gemeinde entscheidet selbst über die Einstellung ihres Rabbiners. Er ist für sie die oberste Autorität in allen religiösen, kulturellen und erzieherischen Fragen. Das Gemeindeleben in Erfurt prägte vor allem Dr. Moritz Salzberger, der hier fast 40 Jahre lang als Rabbiner wirkte. Neben ihm waren ein Kantor, ein Gemeindeschreiber und ein Synagogendiener für die Gemeinde tätig. Der Synagogendiener wohnte in einer Wohnung im zweiten Obergeschoss.


Religion und Ritus
Die Gemeinde sorgt dafür, dass ihre Mitglieder ein Leben nach den Geboten der jüdischen Religion führen können. Der Eintritt in die jüdische Gemeinschaft wird bei Jungen durch ihre Beschneidung nach der Geburt vollzogen. Sie symbolisiert den Bund G´ttes mit den Juden. Jungen erreichen mit ihrem 13. und Mädchen mit ihrem 12. Geburtstag die religiöse Mündigkeit. Mit der Feier der Bar Mizwa beziehungsweise Bat Mizwa werden sie "Sohn" oder "Tochter des Gebots"  und sind nun selbst für die Einhaltung der jüdischen Gesetze zuständig. Zu den wichtigen Ritualen gehören auch eine jüdische Hochzeit, die Bestattung auf einem zur Gemeinde gehörenden Friedhof sowie die rituelle Reinigung in einem Tauchbad, der Mikwe. Sie befand sich bis 1903 im Keller der Synagoge.


Aufgaben der Gemeinde
Eine jüdische Gemeinde organisiert ihre Angelegenheiten und die Vertretung nach außen über gewählte, ehrenamtliche Vertreter. Unter ihnen trägt der Vorsitzende die größte Verantwortung. 
Die Erfurter Synagogengemeinde hatte eine Kultuskommission, die die Gestaltung des G´ttesdienstes bestimmte, bei der Einstellung eines Rabbiners und Kantors beriet und das Schächtwesen kontrollierte. Das ist eine religionsrechtlich vorgeschriebene spezielle Art des Schlachtens im Judentum. Der Ausschuss für das Armen- und Krankenwesen der Synagogengemeinde unterstützte hilfsbedürftige Mitglieder und jüdische Wohlfahrtseinrichtungen. Eine Schulkommission organisierte den Unterricht der Kinder in Hebräisch und jüdischer Religion durch Kantor und Rabbiner in der Synagoge. Auch eine Bibliothek befand sich hier. Als achtjähriges Mädchen besuchte Hanna Herzberg Mitte der 1930er Jahre gemeinsam mit ihren Großeltern Hedwig und Siegfried Pinthus und ihrer Schwester Eva die Synagoge am Schabbat. Viel später erinnerte sie sich: 


"Als Vorsitzender der Gemeinde hatte Opa einen Ehrenplatz in der ersten Sitzreihe. Eva und ich saßen bei Opa, während Oma im Frauenteil im ersten Stock saß. Da unsere Plätze unübersehbar waren, wurde von uns sehr gutes Benehmen erwartet, was bedeutete, dass wir absolut ruhig und still saßen. Damals war es uns unmöglich, die Lieder mitzusingen, weil die unverständlichen hebräischen Texte uns zum unkontrollierten Lachen und Husten gebrächt hätten. […] Der Besuch in der Synagoge wurde weniger langweilig und schwierig, als ich ein wenig Hebräisch lernte und so den Texten folgen konnte. Manche der Feiertage waren schön, und wir genossen die Riten, besonders als wir deren Bedeutung im Religionsunterricht kennenlernten."


Vereine
Im 19. Jahrhundert nutzten viele Gemeindemitglieder die gesellschaftlichen Chancen, die sich durch ihre rechtliche Gleichstellung boten. Sie brachten sich in die Gesellschaft ein, indem sie in Vereinen aktiv wurden. Als Ende des 19. Jahrhunderts der Antisemitismus zunahm, entstanden in der Gemeinde eigene Initiativen wie der Verein für die Geschichte und Literatur des Judentums. Für Toleranz und Humanität sowie die Rechte jüdischer Bürgerinnen und Bürger engagierten sich die zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegründete Erfurter Gruppe der Loge B'nai-Brith und die Ortsgruppe des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens.